Augie Meyers – 80 Jahre und kein bisschen leise

Augie Meyers (Bild Werner Büchi)
Augie Meyers (Bild Werner Büchi)
Ein Instrument, das bei allen Aufnahmen des legendären Sir Douglas Quintet unverkennbar präsent war, ist die Vox-Continental-Orgel von Altmeister Augie Meyers. Dessen 80. Geburtstag am 31. Mai 2020 war für mich Grund genug, mich mit ihm in Austin, Texas zu treffen und mehr über seine über 60-jährige Karriere zu erfahren.

Bruno Michel: Augie, wenn Du auf Dein Leben im Musikgeschäft zurückblickst, würdest Du heute irgendetwas anders machen? Augie Meyers: Ich bereue nichts. Immer vorwärtszuschauen war und ist mein Motto. Ich bin zufrieden mit dem Erreichten. Heute wechsle ich vielleicht meine Unterwäsche etwas häufiger als früher (lacht).

All Deine Soloalben in den letzten Jahren haben mich beeindruckt, und ich spiele Deine Songs regelmässig in meiner Show. Aber bei heutigen grossen Sendern hast Du keine Chance mehr, gespielt zu werden.  Früher gab es grossartige Discjockeys. Die entschieden, was gespielt wurde, und neben etwas Werbung ging es darum, was dem lokalen Publikum gefiel. Nicht so heute. Der Musikgeschmack wird den Hörern sozusagen vordiktiert. Da gab es eine Radiostation in San Antonio, die von einer Firma in New Jersey aufgekauft wurde. Das Management dort hatte keine Ahnung, was die Leute in San Antonio hören wollten. KREO, ein weiterer Sender, wurde von einem Konzern in Chicago gekauft. Die fragten, was für Werbung laufe. Motorradfirmen und Westernshops war die Antwort. Das Management wollte diese Inserate nicht, sondern Macy’s und andere Gross­konzerne. Monate später ging der Sender pleite.

Mein Herausgeber hat mich gebeten, Dich zu fragen, warum Du Dich für die Vox-Continental-Orgel entschieden hast und nicht für irgendeine andere Marke. 1964 sah ich ein Inserat in einem Heft, wo diese Orgel vorgestellt wurde. Sie gefiel mir. Ich rief Chuck Woods von San Antonio Music an und fragte: „Kannst Du mir so ein Ding besorgen?“ Er schrieb einen Brief nach England, und nach einigen Wochen rief er mich an und meinte: „Ich kann sie bestellen, ist aber teuer. Mit Versand und Zoll 285 Dollar.“ „Bestell das Ding“, sagte ich. Es war die erste Orgel dieses Typs in den USA. Ich erinnere mich, dass wir ein Konzert für die britische Gruppe The Dave Clark Five eröffneten. Deren Orgel war defekt, und sie wollten den Gig absagen. Ich sagte: „Nehmt meine.“ Mike Smith, der Keyboarder der Gruppe, wollte aber eine Vox und konnten kaum glauben, dass ich so ein Ding besass. Also lieh ich sie ihm für den Auftritt aus. Ihr Manager traf uns tags darauf und sagte: „Stellt eine Band zusammen, ich nehme Euch nach England mit.“ Doug Sahm hatte die Idee für „Sir Doug“, und ich kam mit „Quintet“, weil wir zu fünft waren. So entstand das Sir Douglas Quintet.

Da gab’s noch die Geschichte mit Eurem Riesenhit She’s About A Mover, oder nicht? (lacht) Ja, der hiess eigentlich She’s A Body Mover. Aber das wollten die im Radio nicht spielen. Also änderten wir den Titel. Sechs Monate später war es ein Nummer-eins-Hit.

Du bist zwar bald 80, aber nicht zu bremsen. Lass uns über zukünftige Projekte sprechen. Ich höre Gerüchte, dass Du an einem neuen Album gemeinsam mit Flaco Jimenez arbeitest. Wir begannen im Februar zu mixen, und gegen Mitte des Jahres sollte es verfügbar sein. Bill Halverson ist der Produzent. Er hat damals das erste Texas-Tornados-Album produziert wie auch Alben von Crosby, Stills & Nash oder Eric Clapton und vielen anderen. So freut uns seine erneute Mitarbeit.

Apropos Flaco (Anm.: Flaco ist ein Jahr älter als Augie): Ich hoffe, es geht ihm inzwischen besser. Er hatte ja einige Missgeschicke.  Ja, im November stürzte er in Chicago und brach sich einige Rippen. Ein paar Wochen später rutschte er auf der nassen Einfahrt zu Hause aus und knallte mit den Rippen gegen die Stossstange seines Autos. Also wiederum Spital. Aber inzwischen ist er wieder zu Hause und hat sich erholt.

Auf einer Eurer Englandtourneen wollte man das Sir Douglas Quintet als englische Band vermarkten. Trini Lopez, ebenfalls Texaner, war der Headliner. Er stellte vor Publikum klar, dass Ihr nicht aus England, sondern aus Texas stammt. Hast Du noch Kontakt zu Trini, der heute in Dallas lebt? Das wär doch was für ein Duettalbum? Spielt er noch öffentlich? Ich hab ihn seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen. Aber Du hast recht. Das wäre toll. Ich versuch mal, ihn zu kontaktieren, und schaue, ob er Lust darauf hätte.

Du spielst ja neben der Vox-Orgel auch Akkordeon. Das gab wohl den Ausschlag zu den Texas Tornados mit Doug Sahm, ­Freddy Fender und Flaco? Doug und ich spielten Country, Blues und so weiter. Bei einem Freund in Houston hörten wir den Song Who Were You Thinking Of, und Doug meinte, dass wir das doch mit ­Akkordeon und im Polka-Stil spielen könnten. Gesagt, getan. So ging das los.

Du bist immer noch viel unterwegs. Siehst Du junge Künstler, die in der Lage sind, einmal in die Fussstapfen von Legenden wie Dir zu treten? Da gibt es einen Gitarristen namens Ruben Vela, von dem alle sagen, das sei der nächste Stevie Ray Vaughan. Aber ich glaube, dass er seinen eigenen Weg machen wird. Grossartiger Spieler. Oder Dale Watson. Der wird übrigens nächstens heiraten (Anm: Pech für Dales weibliche Fans in der Schweiz).

Du bist bald 80. Wenn Du in Deinem Lieblingsrestaurant Garcia’s Mexican Food auf Deine Enchiladas wartest, denkst Du manchmal daran, wie Du die nächsten 20 Jahre oder so verbringen willst? Mein Grossvater sagte immer: „Wenn Du am Morgen aufwachen und Deine Füsse auf den Boden stellen kannst, hast Du es geschafft.“ Daran erinnere ich mich oft. Aber stimmt schon. Viele meiner Freunde haben mich verlassen. Irgendwie will ich nicht der Letzte sein, der das Boot verlässt.

Was ist das nächste Soloprojekt? Ich bin daran, ein akustisches Album zu machen mit Klavier, Cello und Violine, gespielt von Bobby Flores. Acht Songs stehen schon. Am Rest arbeiten wir. Es werden vor allem Balladen sein.

Gehst Du immer noch auf Tour in Europa oder wird Dir die lange Reiserei zu viel? Das frage ich mich jedes Mal selbst. Aber irgendwie freue ich mich doch jeweils darauf.

Ich bin erst 65, stelle aber ab und zu fest, dass ich zuweilen Dinge vergesse. Wie ist das mit 80? Letzthin fragte mich einer, ob ich einen bestimmten Song spielen könne. „Den habe ich nicht aufgenommen“, sagte ich. Er antwortete: „Nein, aber Gene Vincent hat ihn aufgenommen, und Du hast ihn geschrieben.“ Oder ich vergesse manchmal Teile des Textes von einem Lied, und dann kommt einer und meint: „Du hast das Ding geschrieben, also geh nach Hause und lerne den Text wieder“ (lacht).

Weisst Du überhaupt, wie viele Lieder Du geschrieben hast? Keine Ahnung. Aber ich schreibe immer noch viel. Letzthin stand ich um drei Uhr morgens auf, weil ich mich im Traum auf der Bühne einen Song spielen sah, den ich noch nicht kannte. Also musste ich niederschreiben, was ich im Traum gehört habe. Meine Frau wird wahnsinnig, wenn ich so was mache.

Was würdest Du Dich in einem Interview fragen, das ich nicht gefragt habe? Was ist mein wichtigstes Projekt, das ich noch beenden will? Ich will mein Buch fertigstellen. Seit Langem arbeite ich an meinen Memoiren. Jedes Mal, wenn mich einer was fragt oder wenn ich was Besonderes erlebe, mache ich Notizen. Die muss ich irgendwie verarbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute.