Country für Anfänger

Thomas C Breuer
Thomas C. Breuer

Country-Songs handeln gern davon, dass man sich gerade in Charleston, South Carolina aufhält, während man doch eigentlich viel lieber in Charleston, West Virginia wäre. Nein, eher umgekehrt natürlich. Das Geschäft mit der Sehnsucht macht jährlich Millionenumsätze, Verlust ist die treibende Kraft. Nicht zu vergessen Ehebruch, Mord und Totschlag. Da gibt es diesen Witz: Was passiert, wenn du eine Country-Platte rückwärts abspielst? Du kriegst dein Auto wieder, darfst wieder in dein Haus einziehen, deine Frau kehrt zu dir zurück, und sogar der Hund kann wiederbelebt werden. Und das alles, nachdem du gerade aus dem Gefängnis gekommen bist. Der Schriftsteller Larry Beinhart hat das einmal so ausgedrückt: „Sandy, das Leben ist schlimmer als ein Klischee. Es ist ein Country & Western-Song.“

Komischerweise gibt es Country-, aber keine City-Musik, und ihrem Namen zum Trotz hat die Country-Musik die Metropolen erobert. Da wäre sogar ein Country­ Star, der den Nachnamen Urban trägt. Umgekehrt gibt es keine Vorderwäldler. Das erste Instrument, das die Pilgerväter im frühen Jahrhundert in der Neuen Welt anbauten, war die Fiedel, die gleich für einen guten Ton sorgte. Bei Ausgrabungsarbeiten in den südwestlichen Appalachen wurden fast 300 Jahre alte Tonscherben gefunden. Ansonsten gab es dort wenig zu lachen. Noch weniger zu lachen hatten die afrikanischen Sklaven, die aber immerhin das Banjo mitbrachten – mit Saiten aus den Schwanzhaaren des Maultiers. Über die alten weissen Bluegrasser weiss man wenig, obwohl man einigen wenigen von ihnen Sender umgehängt hat, um ihren Bewegungsradius in den Blue Ridge Mountains zu erfassen. Ein Erkenntnisgewinn aus diesem Experiment: Die Mitglieder der Carter Family in den Bergen des südlichen Virginias waren wohl die Ersten, die ihre Songs im Tagebau gewannen. Die weiblichen Teilnehmer dieses umtriebigen Ensembles wurden nach und nach von Johnny Cash weggeheiratet. Stammvater Jimmy Carter sollte später der erste erdnussfarmende Präsident der USA werden.

Wie unterscheidet man eigentlich Old-Time, Bluegrass und Folk-Musik? Bei Old-Time kommen Banjo, Fiedel und Gitarre zum Einsatz, bei Bluegrass Fiedel, Gitarre und Banjo und bei Folk-Songs Gitarre, Banjo und Fiedel. Hillbilly wird von allen dreien begleitet, gegen Aufpreis kommt noch Mandoline hinzu. Das Fertigen von Holzinstrumenten bietet sich im Hinterwald natürlich an, am besten von solchen, die auch bei der Eichhörnchenjagd eingesetzt werden können. Nicht zu vergessen der Gospel, der sich sogar zu den ältesten Stilrichtungen zählen darf. Beachtlich hier die Bandbreite der Themen: Gott. Der Herr. Der Erlöser. Der Schöpfer. Vater im Himmel. Aber auch Jesus, Engel, Paradies. Viele Songs handelten aber auch schlicht vom Glauben.

Die erste urkundliche Erwähnung eines Cowboysongs haben wir Jimmie Rodgers zu verdanken. Bekannt wurde das Genre jedoch durch Gene Autry, „Oklahomas Singing Cowboy“, der mit seiner Gitarre auch grössere Kuhherden in Schach halten konnte. Okay, in Oklahoma. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm das Interesse an Westernsongs ab, stattdessen wandte man sich dem Eastern zu. Wobei die Hillbilly-Songs denen des Western entsprachen, nur halt nicht zu Pferde. Gehalten hat sich der Western-Swing, vor allem in Texas beheimatet, der Elemente des Jazz, des Blues und des Rotary-Bohrverfahrens bei der Erdölgewinnung verarbeitete.

Ende der 20er-Jahre wurde die Pedal-Steel-Guitar entwickelt, die man auch beim Radfahren spielen konnte. Der Stil verfeinerte das besondere Klangbild der Hawaiigitarre, das wiederum dem eines umgestimmten Eierschneiders entsprach. Populär wurden zu jener Zeit auch die Eisenbahnsongs, die erst ab den 60ern im Verhältnis 2 : 1 gegen Lieder über Laster eingetauscht wurden. Komponisten von Trucker-Songs inspirierten sich häufig, indem sie an den Auspuffrohren von LKWs herumschnüffelten, um dann gesellschaftskritische Werke über Geschwindigkeitsbegrenzungen zu verfassen.

Die sogenannten „Outlaws“ sourcten sich in den 70ern sozusagen selbst aus und verliessen die Stadt, um im texanischen Austin eine Wagenburg zu formieren. Der heissen Temperaturen wegen spielte sich deren Musik vorwiegend im Freien ab, also outdoors, bei bisweilen gigantischen Open-Air-Konzerten, aber die Vorsilbe „out“ deutet an, dass dieses Lebensgefühl nicht mehr ganz in ist. Berühmteste Vertreterin dieser Zunft ist die Sängerin Nellie Wilson, ob ihres hohen Alters auch als „Granny Ole Opry“ bekannt. Zunächst wurden die Outlaws geächtet, weil sie unter anderem rauchten, manche landeten sogar in der „Country Music Hall of Shame“. Später kriegten sich alle wieder ein, viele gingen nach Nashville zurück und liessen sich zum „Inlaw“ umschulen.

Die aktuell beliebteste Stilrichtung firmiert unter Americana oder Roots Music, oft mit sozialkritischen Songs, die auf der traditionellen Folkmusik mit englisch-iri­schen Wurzeln beruhen, wobei diese Lieder eher sozialbritisch waren. Die Wurzelbehandlungen erlaubten Vermischungen mit Rock, Southern Gothic und gewissen kriminellen Elementen. Dazu trinkt man am besten ein Root-Beer.

Dieser Artikel erschien in der Country Style-Ausgabe Nr. 150/2023.

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