Schnabelschneid
Wer im Americana-Sound mit Mundartliedern an- und auftreten will, braucht schon etwas Mumm angesichts der Fussstapfen, die Vescoli, Hofer, Raggenbass – um nur einige der bekanntesten einheimischen Spezialisten aus dieser Ecke zu nennen – vorgelegt haben. Der St. Galler Mundartbarde Ed Blue versucht das mit dem neuen Album „Kain Cowboy“ schon zum zweiten Mal. Gelingt ihm auch dieser Versuch in zehn Akten wie beim letzten Mal?
Vorneweg, Kai Spure – keine Spuren zu hinterlassen –, wie eines der neuen Lieder heisst, ist ihm mit dem bemerkenswerten Vorgänger „Worzelstögg“ (2021) schon nicht gelungen. Vor nicht ganz einem Jahr hiess es in der 133. Nummer dieser Publikation nämlich: „‚Worzelstögg‘ ist ein ganz neues Erlebnis. Ungewohnt ja – langweilig definitiv nicht.“ Dieses Geschick passiert ihm mit „Kain Cowboy“ schon wieder. Die Platte hinterlässt auch wieder Spuren, weil man beim Hören gespannt bleibt, was wohl das nächste Stück bringt oder welches Detail man noch entdeckt.
Gegenwärtig scheinen die Geschichten geradezu aus ihm herauszuquellen. Zehn Stücke letztes Jahr, weitere zehn in diesem. Dazu noch die Single Niä Vergässe im laufenden Jahr. Wohlverstanden, die zehn sind nur diejenigen, die es letztlich auf das Album schafften. „Usepfloddere“ würde er es in seinen Dialekt vielleicht umschreiben – oder einfach: Jedä Tag es Lied. Damit füllt er ein Album mit bildhaften Gedanken, bei denen man das Gefühl nicht loswird, dass da auch so einiges an Schwemm-Material aus dem eigenen Leben mittreibt. Es könnten aber auch nur ausserordentlich gut umgesetzte fremde Geschichten sein, zu denen er einen näheren Bezug gefunden hatte und die er dann mit einem klaren Konzept vor Augen aufwendig umsetzte. Die Produktion lässt jedenfalls keine Wünsche offen. Was da in Nashville eingespielt wurde, hat Manufaktur- und nicht nur den gängigen hochprofessionellen Studiomusikcharakter, für den Nashville-Produktionen berühmt sind. Da wusste einer genau, was er will.
Im Lied Losloh, der scharf beobachteten Skizze eines Mannes aus der Berufsgruppe Überholt und Überflüssig, tanzt die Tragik auf einer hübschen Melodie leichtfüssig daher. Man weiss nicht, ob man über den Zinnbecher „mit e bitzli Staub drin“ schmunzeln oder weinen soll. Je nachdem, ob solch ein traditionelles hiesiges Abschiedsgeschenk bei einem selbst irgendwo im Haus Staub ansetzt. Es ist eine feine Grenze zwischen Tragik und Komik.
Diese delikate Trennlinie zieht sich auch durch das Titellied Kain Cowboy. Setzt sich der Cowboytyp aus dem Osten des Landes, mit dem „Jeanshämp vo Züri“, auf dem Album-Cover erst noch bilderbuchmässig markig in Szene, zeigt er sich dann drinnen an vierter Stelle zu einer flotten Country-Melodie selbstironisch und nachdenklich. Er befasst sich mit allerlei Identitätsstiftendem und nimmt dabei seine, und unsere, mehr oder weniger angestrengten Bemühungen, dem Marlboro-Poster-Cowboy so nah wie möglich zu kommen, scharfsichtig unter die Lupe. Was bei ihm letztlich zur Erkenntnis führt, dass er kein „verdammte Cowboy“ ist, sei an dieser Stelle nicht verraten. Ausser vielleicht, dass man sich bei seiner Erklärung ein Schmunzeln nicht verkneifen kann. Da ist es dann wieder, Ed Blues augenzwinkerndes Balancieren auf der Trennlinie zwischen Komik und Tragik.
Er könnte ein Ostschweizer Verwandter von Guy Clark sein, dem grossen texanischen Singer/Songwriter, der sogar ein gutes Lied aus einem blauen Hemd machen konnte – oder ein grosses über so etwas vordergründig Statisches wie Desperados, die auf einen Zug warten. Nur um dahinter eine anrührende Geschichte über einen Jungen zu erzählen, der sich eines Mannes erinnert, zu dem er aufschaute. Ed Blue ist auch so einer, der seine Geschichten gern unter unscheinbaren, manchmal sogar abstrakten Titeln wie beispielsweise Villa Öpfelmus versteckt. Seine Version, sich an jemanden zu erinnern, dem harte Zeiten auch nicht fremd waren, steht bestem clarkschen Songwriting in nichts nach. Es gelingt ihm dabei sogar das Kunststück, dass Schweizer Städtenamen in einem Country-Song nicht lächerlich klingen. Wie der Texaner ist auch er einer, dessen Stimme zwar keine Chance auf einen Schönheitspreis hätte, aber zu seinen Geschichten passt wie das Tüpfelchen auf dem „i“.
Am 23. September 2022 erschien das neue Album „Kain Cowboy“ von Ed Blue & The Root-stocks, dessen nähere Bekanntschaft zu machen eines der grösseren kulturellen Vergnügen dieses Jahres sein könnte, falls man mit einheimischem Country-Schaffen in Mundart etwas anzufangen weiss. Versproche.
Dieser Artikel erschien in der Country Style-Ausgabe Nr. 142/2022.
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