Ein etwas an den Haaren herbeigezogener Vergleich
Was der „Tatort“-Kommissar Reto Flückiger nie richtig erreicht hat, ist Country-Barde Heinz Flückiger schon längst gelungen: Er konnte sich eine treue Fanbasis aufbauen und spielt weiterhin eine gewichtige Rolle in der hiesigen Country-Szene. An einen vorzeitigen Abgang, wie er dem TV-Ermittler kürzlich widerfuhr, denkt der Country-Sänger auch nach 41 Bühnenjahren noch längst nicht. Wie schaffte der eine, was dem andern, trotz guter Voraussetzungen, einfach nicht gelingen wollte?
An der Rollenverteilung kann es nicht gelegen haben. „Reto Flückiger“, gespielt vom Schweizer Schauspieler Stefan Gubser, spielte 17-mal die Hauptrolle an Tatorten rund um Luzern. Nun, eigentlich fast 18-mal, weil der erste Schweizer „Tatort“ (2011) wegen erheblicher Mängel teilweise noch einmal nachgedreht und nachbearbeitet werden musste, bevor er ausgestrahlt und dem TV-Publikum zugemutet werden konnte. Zugaben sind Heinz Flückiger natürlich auch nicht unbekannt, aber bei ihm ist der Grund dafür für gewöhnlich ein positiverer.
Im Grunde nicht unähnlich verlief der Aufstieg der beiden Flückigers. Bei Heinz ging es in der guten alten Country-Blütezeit um die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts so richtig los, als die hiesige Szene ihren Höhepunkt erlebte und Country-Anlässe und -Bands beinahe wie Pilze aus dem Boden schossen, so gross war die Nachfrage. Der einstige Schlagzeuger und später eher zufällig Gitarrist und Sänger gewordene Heinz Flückiger erinnert sich noch gut daran, als er begann, sich ab 1989, nachhaltig „inspiriert von der Musik Dwight Yoakams“, mit seiner zweiten Band Dusty Road einen Namen zu machen auf dem hiesigen Circuit. Es war die Zeit, als man sich die Sporen erst auf kleinen und kleinsten Bühnen verdienen musste, bevor man anfangen durfte, von der Country Night Gstaad und Erfolg bei der sprichwörtlichen Jagd nach dem „Neon Rainbow“ zu träumen.
Bei Reto ging es karrieremässig als Chef der Seepolizei des Kantons Thurgau los, wo er sich zuerst als sporadischer und später dann als regelmässiger Ermittlungshelfer vom anderen Ufer bei den Mordfällen seiner etablierten Konstanzer Kommissarskollegin Klara Blum in mehr oder weniger tragenden Nebenrollen hochdiente und für Höheres empfahl. Ob er dabei schon von eigenen Mordfällen am Sonntag oder gar Luzern träumte, das wussten höchstens die Drehbuchautoren. Aber letztlich brachte er es zum Hauptakteur bei Schwerverbrechen in der gefühlt fast immer nebligen oder wolkenverhangenen Zentralschweizer Filzmetropole. Waiting For The Sun To Shine – als „Tatort“-Vorspannmusik ein Frevel, von Heinz Flückiger gesungen wahrscheinlich ein Genuss.
Womit man beim Ton wäre, der im einen Fall die Musik macht und im anderen zu bleibenden Irritationen führte. Heinz Flückiger zählt zweifellos zu den eindrücklichsten Stimmen der hiesigen Country-Musik. In seiner breiten Brust, einem perfekten Resonanzkörper, entspringt eine Baritonstimme, die wie gemacht scheint für seinen bevorzugten Honkytonk-Stil. Aber, wie man seit der „Amazing Grace“-Weihnachtskonzertreihe von 2004 und 2005 weiss, auch sakralerem Liedgut prächtig ansteht.
Dagegen haderte der Kriminalist Flückiger immer damit, dass die Synchronisation ins Hochdeutsche für die deutschen Krimifreunde seinen Dialogen und Verhören in Schweizer Mundart gar nicht gut bekam und sie hölzern wirken liess wie ein Chalet im höher gelegenen Luzerner Umland. Aber auch für den Country-Sänger ist die Tatsache, dass Honkytonk-Musik und -Texte grossmehrheitlich in Englisch entstehen, eine nicht zu unterschätzende sprachliche Klippe. Heinz Flückiger umschifft sie, indem er kaum eigene Lieder schreibt und sich auf bestehendes Material amerikanischer Songwriter konzentriert. Vielleicht seine künstlerische Achillesferse, denkt man doch manchmal, wie es wohl wäre, wenn er seine Sicht der Dinge und Empfindungen künstlerisch uneingeschränkt ausdrücken könnte.
Beim Auftritt schneiden beide Flückigers beachtlich ab. Erlebt man einmal zufällig einen Auftritt von Heinz mit voller Kapelle, wie das bei grossen Festivals durchaus passieren kann, ist es nicht unwahrscheinlich, dass man gebannt stehen bleibt ob der Stimme und Darbietung des grossen Kerls auf der Bühne. Er kann es im Auftreten auch mit der führenden amerikanischen Konkurrenz durchaus aufnehmen. Dass sieht man alljährlich beim Internationalen Country Festival im Zürcher Albisgütli, wo er regelmässig vor den grossen Namen aus Übersee auf dem Programm steht und dabei jeweils die Latte gesanglich schon mal etwas höher legt. Am 7. Februar 2020 wird er das Festival gar eröffnen, gleich danach gefolgt von Weltstar Kiefer Sutherland, der zwar von Haus aus Schauspieler von Weltformat ist, aber auch als Singer/Songwriter eine interessante und durchaus gute Figur abgibt. Kommissar Flückiger beziehungsweise der Schauspieler Stefan Gubser schneidet bei Branchenvergleichen aber auch recht vorteilhaft ab. So stufte ihn ein TV-Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ einst als „Mischung zwischen Robert De Niro und Al Pacino“ ein. Möglicherweise hatte der Mann die beiden US-Filmlegenden schon einmal Schweizerdeutsch synchronisiert gehört.
Harte Knochen sind sie auch beide. Flückiger Reto musste im Gotham der Innerschweiz zwischendurch auch schon mal tüchtig Prügel einstecken. Und das Segeln auf dem vom Föhn gepeitschten Vierwaldstätter See ist auch nichts für Männer mit schwachem Magen und zarten Händen. Dass Flückiger Heinz ein harter Knochen ist, zeigte er bei seinem Auftritt im winterlichen Zürich vor sechs Jahren. Kurz vorher war er in den Skiferien heftig gestürzt und hatte sich dabei die Schulter schmerzhaft geprellt. Aber kurz darauf sass er dann trotzdem auf einem Barhocker auf der Albisgütli-Bühne mit Schlinge um Hals und Arm, schmerzstillender Spritze in der Schulter, Painkiller im Magen und der Gitarre auf dem Oberschenkel aufgelegt und spielte sein Programm, ohne sichtlich mit der Wimper zu zucken. Verpflichtung ist Verpflichtung, und Honkytonks oder Luzern-Gotham nichts für Weicheier.
In Sachen Beförderung ist der Country-Sänger dem Verbrecherjäger uneinholbar voraus. Seit 2013 ist Flückiger Mitglied der von George Hug ins Leben gerufenen eidgenössischen Country-Supergruppe Swiss Highwaymen. Die Mitgliedschaft dort ist ähnlich bedeutend wie eine Einladung in eine All-Star-Mannschaft am Ende einer erfolgreichen Sportsaison. Die Absetzung des „Luzerner Tatorts“ verhindert, dass der Schweizer Kommissar dereinst wieder mit seinen deutschen Kollegen grosse grenzüberschreitende Fälle im All-Star-Team wird lösen können. Er musste allfällige Ambitionen in diese Richtung kürzlich für immer begraben. Rückblickend reichte es ihm nur zur Zusammenarbeit und einer, etwas im Vagen belassenen, besonderen Beziehung mit der Konstanzer Kollegin. Und das liegt auch schon fast ein Jahrzehnt zurück.
Was Beziehungen angeht, wird es bei beiden etwas „kompliziert“, wie Zwischenmenschliches oder dessen Absenz im heutigen Social-Media-Zeitalter im Zweifelsfall gern umschrieben werden. Bei Heinz Flückiger und seinen Bands könnte man zwischenzeitlich schon etwas den Überblick verlieren, wie es aktuell gerade aussieht. Darum hier rekapituliert: Im Country-Genre angefangen hat er 1988 mit Mistery Train für etwa ein Jahr. Darauf folgten 1989 Dusty Road, die bis 2005 zusammenblieben. 2011 bis 2012 war die Trailer-Periode, und seit 2014 tritt er mit The Cool Bunch im Rücken auf. Dazwischen versuchte er es mit bis zu achtköpfigen Formationen als Heinz Flückiger & Band, deren Grösse von Veranstaltern auf der Gagenseite allerdings kaum zu stemmen war. Die optimal rentable Bandgrösse im hiesigen Markt liegt bei vierköpfigen Formationen, fand er heraus, ohne ein Detektiv zu sein.
Aber auch das Beziehungsleben des Leiters der „Fachgruppe Leib und Leben“ der Kantonspolizei Luzern – ob solche Abteilungsnamen ein Grund dafür sind, dass die deutschen Sonntagskrimi-Freunde mit dem Schweizer „Tatort“ nie richtig warm wurden? – unterliegt stetigen Wechseln. Bei der Thurgauer Kantonspolizei zur See war es Klara Blum, der er ziemlich nahekam. Aber dann, als es sogar richtig knisterte beim Kuss in der Folge „Der schöne Schein“ (2011), kam das mit der Beförderung und dem damit einhergehenden Wechsel vom Boden- an den Vierwaldstätter See, wo er seinen Abschiedsschmerz geradezu im traditionellen Country-Stil, könnte man sagen, mit einer neuen Liebschaft stürmisch überwinden wollte. Es war eine klassische Situation, in der sein Country-Alter-Ego ihm vielleicht Lari Whites und Travis Tritts Helping Me Get Over You als Therapie-Soundtrack empfohlen hätte.
Starke Frauen sind eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Flückigers. Im Fall von Heinz ist es seine Gattin Claudia, die seit bald 20 Jahren mit ihm durch dick und dünn geht. Sie teilen sich Haus und Mobiliar, die Gesangsparts, als sie beide noch mit der Skiffle-Band auftraten zwischen 1999 und 2015, und sie ist auch ein Teil seines „Cool Bunch“, wo sie ihn auf der Bühne mit Backing-Vocals, dem einen oder anderen Song solo sowie ihrem attraktiven Äusseren unterstützt.
Was mit der tiefgründigen, ebenfalls nicht ganz unattraktiven Klara aus Konstanz begann, aber dann abrupt enden musste, führte danach zu einem fast schon drehbuchartig-klassischen Beziehungsleben eines echten Krimihelden – bestenfalls belanglose Affären haben die für gewöhnlich. Und wenn es hoch kommt, auch noch eine nicht ganz pflegeleichte Partnerin mit eigenem komplizierten Beziehungsleben. Warum sollte das Reto Flückiger in Luzern anders ergehen? Nimmt man dann noch alles Verkorkste bei den Tatverdächtigen eines Verbrechens hinzu – natürlich noch aus dem unmöglichen „Dirty Talk“-Idiom Schweizerdeutsch ins Hochdeutsche synchronisiert –, dann versteht man gleich noch besser, warum diesem helvetischen Krimiversuch und seinem Helden kein langfristiger Erfolg beschieden sein konnte.
Die Vorstellung, dass „Dirty Harry“ Callahan dem „Chef Leib und Leben“, Reto Flückiger, seinen Magnum-Revolver gereicht und ihm ein aufmunterndes „Mach weiter so!“ mit auf den Weg gegeben hätte, ist so abwegig, als wenn Johnny Cash einst in seiner Garderobe Heinz Flückiger seine Gitarre mit ebendiesen Worten geschenkt hätte, nachdem dieser ihm zwei Songs hatte vorsingen dürfen. Nur, das passierte tatsächlich. Möglicherweise ein Grund, warum der eine noch immer im Geschäft ist und der andere sich unlängst fühlte, als ob er „einen Tritt in den Hintern bekommen hätte“.
„Deine Helden helfen dir das Gute in dir zu finden, deine Freunde werden dich nie verlassen. Sie stehen zu dir durch dick und dünn…“
(Randy Travis, Heroes & Friends, 1990)