Seine erste Gitarre erhielt er mit 13 Jahren. Mit 29 war er einer der sechs Gewinner aus über 100 Teilnehmern am Kerrville-Songwriter-Wettbewerb. In der Jury sassen damals Legenden wie Townes Van Zandt oder Steve Young. George Ensle blickt auf fast ein halbes Jahrhundert als Texas-Songwriter zurück.
Bruno Michel: Leute, die Dich gut kennen, behaupten, dass Du einen Song malst anstatt schreibst. Wo liegt der Unterschied? George Ensle: Ich male sozusagen Bilder von Leuten oder Geschichten in meinen Liedern. Jemand sagte mal, dass ich eigentlich Maler sei. Es ehrt mich, wenn mich die Leute als Liedermaler sehen.
Viele Texas-Musiker haben Titel von Dir aufgenommen, obwohl sie selbst grossartige Lieder schreiben. Was bedeutet die Anerkennung von Kollegen für Dich? Das ist die höchste Anerkennung, die du als Songwriter erreichen kannst. Wenn Leute wie Gary P. Nunn oder andere deine Lieder aufnehmen, dann zeigt es, was du geleistet hast. Es ist auch eine Ehre, mit Kollegen wie Jeff Talmadge oder Chuck Hawthorne gemeinsam Lieder zu schreiben.
Du hast ein Business aufgebaut mit dem Namen Portrait Songs. Leute können Dir Biografien schicken von Angehörigen oder Freunden, und Du schreibst dann einen passenden Song für diese Person. Wie kamst Du darauf? Als ich als Liedermaler bezeichnet wurde, hatte ich die Idee, Portrait Songs zu gründen. Vorher gab es zwar Ähnliches, aber eher in Form von Geburtstagswünschen in musikalischer Verpackung. Ich habe einen Fragebogen, auf dem die Leute mir Information über die besungene Person geben und über spezielle Dinge aus deren Leben. Dann biete ich ihnen verschiedene Melodien zur Auswahl, und danach schreibe ich den Text und stelle den persönlichen Song fertig.
Einer meiner Lieblingstitel ist All I Need, den Du mit meinem alten Freund Richard Dobson geschrieben hast – Gott hab ihn selig. Aber Du hast noch andere Titel mit Don Ricardo geschrieben. Richard und ich schrieben einige Songs zusammen. All I Need ist insofern speziell, als dass Richard Buddhist war, und ich bin Christ. Dieser Song beleuchtet irgendwie die Gemeinsamkeiten der östlichen und westlichen Religion.
Ein weiterer cooler Song ist It’s A Texas Thang. Du bist Texaner mit Herz und Seele. Was macht die Texas-Musikszene einzigartig? Ich kenne einige Nashville-Songwriter, die nach Texas zogen. Die Art, wie Songwriting heute in Nashville abläuft, hat viele dazu bewogen, sich in Texas wieder auf das Wesentliche zu beschränken. Das letzte Mal, als ich in Nashville war, um meine Songs an die Agenturen zu bringen, fragte ich den Publizisten: „Auf welchem Medium willst Du die Lieder haben?“ Er meinte: „Ich will Tonbandkassetten, die am oberen Rand die Clips nicht herausgebrochen haben, damit ich sie überspielen kann“ (Gelächter). Das war vor langer Zeit, und es war das letzte Mal, dass ich in Nashville versucht habe, meine Lieder vorzustellen. Als Sonny Throckmorten von Nashville nach Texas kam (Red.: einer der grössten Nummer-eins-Hitschreiber der 60er- und 70er-Jahre), meinte er, bei den Texas-Songwritern ginge es mehr darum, echte Erlebnisse zu Liedern zu verarbeiten. Besser kann man es nicht beschreiben.
Wie viele Deiner Songs beschreiben eigene Erfahrungen oder erlebte Geschichten und wie viele sind einfach erfunden? Wie mein Freund Hal Ketchum sagt: „Lass die Wahrheit nie einer guten Geschichte im Weg stehen.“ John Steinbeck sagte: „Nur weil es vielleicht nicht passiert ist, heisst es noch lange nicht, dass es nicht trotzdem stimmt.“ Ich versuche einfach, meine Antennen für gute Geschichten ausgerichtet zu halten. Manchmal kommen die Ideen von Freunden, manchmal sind sie einfach aus dem Leben gegriffen. Eines der Lieder auf meinem neuen Album „Home“ beschreibt eine Geschichte, die meinem Bruder passiert ist, noch bevor ich geboren wurde.
Weisst Du, wie viele Songs Du geschrieben hast? Einige sind ellenlang. Wie kannst Du Dich bloss an all die Texte erinnern? Vielleicht 250 oder so. Nicht mitgezählt jene, die ich weggeschmissen habe. Ich weiss es nicht genau. Etwa 100 meiner Titel habe ich in meinem ständigen Repertoire. Somit kann ich die Texte auswendig aus Gewohnheit, und es ist auch ein gutes Training fürs Gehirn.
Schreibst Du lieber allein oder hilft es, wenn Du mit einem Kollegen zusammen schreibst, der Brücken baut, wenn Du mit einem Song nicht mehr weiterkommst? Die ersten 40 Jahre meiner Karriere habe ich allein geschrieben. Erst danach fing ich an, mit andern Songwritern zusammenzuarbeiten. In all den Jahren habe ich viele grossartige Kollegen kennengelernt. So bin ich heute in der Lage, mir meine Schreibpartner aussuchen zu können, und die meisten stimmen zum Glück zu. Ich veranstalte auch Workshops, bei denen ich die Kunst des Liedermachens zu vermitteln versuche.
Wie hat sich Deine Musik entwickelt seit Deinem ersten Album „Head On“ im Jahr 1980? Ich hoffe, dass ich heute bessere Songs schreibe. Wenn du jung bist, hast du viele Ideen und schreibst über die Entwicklung deiner Eigenständigkeit. Wenn du die 50 erst mal überschritten hast, dann schaust du dich auch in deinem Umfeld nach Inspirationen um. In den Liedern auf „Head On“ ging es vor allem um Abenteuer. Wir nahmen das Ganze im Studio von Willis Alan Ramsey direkt auf Analogband auf. Einer der Musiker auf der Scheibe damals war nun der Produzent meines neusten Albums „Home“.
Du hast einmal erzählt, dass Dir beim ersten Auftritt die Knie gezittert haben. Das dürfte sich mittlerweile gelegt haben. Welchen Rat gibst Du einem jungen Künstler, der heute in diesem Business anfangen will?
Vor allem: Sieh das Ganze nicht als Business. Musik und Geschäft sind meiner Meinung nach zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschliessen. Wenn du Kompromisse bei deiner Musik und deiner Kreativität machst, um geschäftlich Erfolg zu haben, sprich Geld zu machen, dann betrügst du dich selbst. Man sollte jeden Song so vortragen, als ob es der letzte wäre – was speziell in meinem Alter langsam im Bereich des Möglichen liegt (Gelächter).
Ich frage mich oft: „Who’s Gonna Fill Their Shoes?“ Siehst Du heute Talente, die in die Fussstapfen eines Guy Clark oder eines Townes Van Zandt treten könnten? Ab und zu treffe ich solche Leute. Jedes Jahr spiele ich auf der Townes Van Zandt Birthday Party, die vom Songwriter Butch Hancock im Cactus Cafe in Austin veranstaltet wird (Red.: fand dieses Jahr zum 21. Mal statt). Dort kriegst du einen ziemlich guten Überblick über die jungen Talente, welche die Songs von Townes spielen. Ab und zu treffe ich welche bei meinen Gigs. Aber es gibt immer weniger Songwriter-Clubs, was irgendwie ironisch ist, weil genau diese Clubs Austin zu dem gemacht haben, was es heute sein will: the Live Music Capital of the World. Im Songwriter-Umfeld hören die Leute mehr zu und trinken weniger Alkohol. Und das ist schlecht fürs Geschäft.
Welche Frage würdest Du Dir in einem Interview stellen, die ich nicht gestellt habe? Würdest Du noch eins spielen …?
… das machen wir sowieso. So einfach kommst Du mir nicht davon (Gelächter) … O. k., dann vielleicht: Was liest Du gerade? Ich bin beim Buch „Farewell“ von Horton Foote, worin er seine Kindheit in Texas beschreibt. Er wurde mal gefragt, wie er solch grossartige Geschichten schreiben kann. Er meinte: „Mach deine Personen möglichst realistisch, dann schreibt sich die Geschichte wie von selbst.“ Ich glaube, das trifft auch auf die Art zu, wie ich meine Songs schreibe. Dann lese ich „Grace Based Parenting“ von Tim Kimmel, weil meine Frau und ich grosselterliche Eltern sind. Das heisst, unsere Enkelinnen wachsen bei uns zu Hause auf.
Vielen Dank für das Gespräch und Deine Teilnahme an unserer Serie „Touring Texas Songwriters“.