GZSZ – Rosewood

Rosewood (Bild: Herbert Zimmermann)
Rosewood (Bild: Herbert Zimmermann)
Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Aber schlimmer hätte es kaum kommen können. Es ist noch kaum Frühling 2020, und die Welt vollzieht eine Vollbremsung. Praktisch alle Pläne werden über den Haufen geworfen oder zumindest stark in Mitleidenschaft gezogen. Es geht buchstäblich um Leben und Tod – unsere Existenzen sind in Gefahr geraten. Und genau in diese Zeit fällt das Erscheinen von „Miles And Stories“, dem ersten Studioalbum von Rosewood.

Auf Anhieb wäre man ja geneigt zu denken, das Timing könnte kaum schlechter sein. Die Plattentaufe mit Konzert und Häppchen zur Feier des Erstlings war auf den 25. April 2020 angesetzt und ist mittlerweile bis auf Weiteres ersatzlos gestrichen worden. Die erste Single des Albums erschien am 21. Februar und trägt den Titel Quality Time. Damit scheint zum Schicksal auch noch die Ironie auf der Bildfläche aufzutauchen, als ob Ersteres nicht schon gereicht hätte. Als direkt betroffene Band könnte man jetzt leicht in eine mittlere Depression verfallen – oder aber man reisst sich am Riemen und zieht sogar neue Kräfte aus der überaus misslichen Lage.

Zugegeben, in einem Land, dessen Regierung nur ein paar Stunden, bevor diese Zeilen entstanden sind, offiziell die „ausserordentliche Lage“ bis vorerst 19. April 2020 verhängt hatte, um nötige Schutzmassnahmen für die Bevölkerung zu treffen, wie sie die meisten hier und auch in den umliegenden Ländern noch nie erlebt haben, fällt es nicht ganz leicht, grundsätzlich positiv gestimmt zu bleiben, nicht einmal für Musiker. Aber es liessen sich durchaus Gründe dafür finden.

Rosewoods Erstling „Miles And Stories“ mit seinen 14 von der Band selbst geschriebenen Liedern ist über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren zwar in einer Zeit entstanden, in der die Gefühls- und Weltlage eine komplett andere war. Aber das spielt eigentlich keine Rolle. Eines der Qualitätsmerkmale von Kunst oder eines Kunstwerks ist, wie es den Test durch die Zeit besteht. Normalerweise liefern solche späteren Prüfungen die Antwort auf die Frage, ob in einem Werk mehr steckt als nur gerade der herrschende Zeitgeist und die technischen Möglichkeiten, als es entstand. Weil Rosewood bisher absichtlich nur wenig über den Inhalt ihres ersten Albums haben nach aussen dringen lassen, kann man zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich nur spekulieren. Aber genau das macht es interessant und spannend in bisweilen auch etwas langweiligen Quarantänezeiten.

Der Titel „Miles And Stories“ deutet zumindest an, dass es nicht aus einem Moment heraus entstanden ist: Das Längenmass Meilen wird gern als Synonym für längere Wegstrecken verwendet. Weil auch die Geschichten auf dem von Marco Jencarelli produzierten Album nicht alle gleichen Ursprungs sind, so viel haben sich die fünf entlocken lassen, darf zumindest auf mehr oder weniger bedeutsame und abwechslungsreiche Episoden aus ihrem mittelbaren Bandleben gehofft werden.

„The Life of a Song“ ist der Titel einer Artikelserie in der britischen Zeitung „Financial Times“ und auch eines Albums und Liedes des einstigen Country-Ehepaares Joey + Rory von 2008. Die Musikkritiker der Zeitung betrachten in ihren Artikeln „das Leben eines Liedes“ von der Entstehung bis hin zu späteren Coverversionen eingehend. Joey Feek andererseits sang in ihrem Life Of A Song, was ein Lied für sie persönlich bedeutet:

Am liebsten wäre ich ein Lied.

Ein Lied lebt ewig und stirbt nie.

Es bringt Feinde zusammen und berührt so viele Leben,

Worte und Melodien bleiben,

auch wenn wir nicht mehr sind.

Oh, wie ich wünschte, ich wäre ein Lied.

Welches Leben noch vor den 2014 gegründeten Rosewood und ihrer neuen Single Quality Time – besondere Momente – liegt, ist vor dem Hintergrund der aufwühlenden Pandemie eine durchaus berechtigte und nicht uninteressante kulturelle Fragestellung, scheint der Titel oberflächlich betrachtet doch völlig quer in der gegenwärtigen realen Landschaft und zur „ausserordentlichen Lage“ zu liegen. Unter besonderen Momenten versteht man doch für gewöhnlich eher besonders erfreuliche und nicht, wie jetzt, besonders bedrohliche. Auch die fröhlichen Bilder des Videoclips, die noch unbeschwertes geselliges Beisammensein zeigen, wirken im herrschenden Kontext irgendwie mehr als nur daneben.

Aber was, wenn dereinst, wenn die alles überschattende Corona-Krise nur noch wie ein böser Spuk anmutet, sich genau jene besonderen Momente des verstärkten und bewussten Zusammenseins insbesondere in Gefahrenzeiten – trotz zwei Meter empfohlenen Sicherheitsabstands – im Gedächtnis einbrannten, weil sie unauslöschlich während einer ausserordentlich schwierigen und belastenden Zeit entstanden? Was, wenn aus Widerstandskraft und Überwindung möglicherweise für viele ein in dieser Ausprägung so noch nie erlebtes Gefühl von Rücksicht, Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit spürbar wurde? In einem solchen Fall könnte Rosewoods neuste und äusserst radiofreundliche Single mit einem Mal Teil des Soundtracks einer ausserordentlichen Zeit werden, die niemand mehr so schnell vergessen wird. Aus „scheinbar völlig daneben“ wäre dann eine Punktlandung geworden.

Definitiv keine Punktladung wird es mit der geplanten Plattentaufe geben, zu der auf den 25. April 2020 eingeladen wurde. Diesem Plan machte die Landesregierung höchstpersönlich einen Strich durch die Rechnung, was einem auch nicht alle Tage widerfährt, aber die „ausserordentliche Lage“ nur noch greifbarer macht. Der Band blieb nur noch, eine Facebook-Mitteilung zu verbreiten mit zwei dicken gekreuzten roten Strichen auf der Einladungskarte. Diese  Absage erfolge schweren Herzens, aber sei unter den Umständen natürlich notwendig, stand daneben. Ob Martina Brunner, die Sängerin von Rosewood, es persönlich auch so empfindet, wie es unlängst am Nebentisch eines Schnellverpflegungsrestaurants ein offenbar (Liebes-)Kummer gewöhnter Teenager ihrer vermutlich besten Freundin gestand: „… ich würde ja heulen, wenn es nicht wieder so zum Heulen wäre.“

Bei einem Gespräch mit Rosewood vor Kurzem war auch ein Thema, dass ein Album wohl zweifellos zu den wichtigen Momenten im Leben einer Band gezählt werden kann. Was, wenn sich jetzt solch ein Zeitpunkt völlig unerwartet von grosser Freude in riesige Enttäuschung verkehrt? So ein Schock kann tief sitzen. Und die vorderhand nicht absehbare Zeit, in der man mit neuen Songs im Gepäck nicht mehr auftreten und beweisen kann, dass man nicht nur ambitioniert ist, sondern auch Shows hinlegen kann, die diesen Anspruch mit Leben füllen, macht es nur noch schwerer. Aber eine abgesagte Taufe kann man später immer noch nachholen, oder man feiert sogar Geburtstag nach überstandener Krise.

Als Künstler im Country-Genre bleiben einem nach grossen Enttäuschungen eigentlich nur zwei klassische Auswege: regelmässige Therapietreffen mit Dr. Jack Daniel’s oder hinsetzen und versuchen, die herrschende Gemütslage in neuen Lieder einzufangen und auszudrücken. Welchen Weg Rosewood gehen werden, kann nicht mit letzter Sicherheit vorhergesagt werden, aber da man im Video zu Quality Time auf YouTube.com mehr Wein und Bier als Bourbon sehen kann, liegt man wahrscheinlich nicht so weit daneben, wenn man eher auf eine kreative Krisenbewältigung tippen würde. Liegen dem aktuellen Album Lieder zugrunde, die sich hauptsächlich mit Themen auseinandersetzen, welche die Bandmitglieder in den letzten rund zwei Jahren umtrieben, könnte das nächste dereinst noch therapeutischere Züge tragen.

Ebenfalls ziemlich interessant wird sein, zu sehen, wie sich die bis auf Weiteres ausfallenden Auftritte auf die Plattennachfrage auswirken werden. Wird es zu Einbrüchen kommen, weil Fans sich nicht mehr vor oder nach einem Konzert das aktuelle Album ihrer Lieblinge kaufen? Oder wird das Gegenteil eintreten, und die Verkaufszahlen schnellen in die Höhe, weil man so wenigstens das Neuste in der Hand hätte? In den USA werden Jason Isbells oder Ashley McBrydes demnächst erscheinende neue Alben ja mit einiger Spannung erwartet. Da wird es erste Antworten geben. Bei hiesigen Country-Stars laufen das Geschäftsmodell und der Plattenabsatz zwar etwas anders, aber weil Rosewood es im Vorfeld ihrer Erstlingspräsentation geschickt verstanden haben, das Interesse mittels etwas Geheimniskrämerei leicht anzuheizen, wird es interessant sein, zu sehen, ob sich daraus eine Nachfrage ergibt, die sich so vielleicht nicht eingestellt hätte, wenn man Musik weiterhin ohne Einschränkungen live hätte erleben und erstehen können.

Ein anderer Aspekt des hiesigen Musikgeschäftsmodells ist, dass die meisten Acts, wenn nicht gar noch einen Hauptberuf, so doch oftmals eine solide berufliche Ausbildung haben. Bei ihnen wirkt sich das momentane Veranstaltungsmoratorium nicht gleich existenzbedrohend aus. Sogar Legenden wie Polo Hofer lernten erst „etwas Richtiges“ wie Handlithograf. Mani Matter war Jurist, John Brack lernte Kaufmann, Stefan Eicher studierte an einer Kunst- und Designschule und Francine Jordi absolvierte das Konservatorium, beispielsweise. Für die Vollprofis und das ganze Veranstaltungsumfeld ist es aber ein veritabler GAU. Bei Rosewood hat das Covid-19-Virus auch nur relativ leichte Auswirkungen. Und auch wenn es jetzt auf ihrer Website vielleicht genauer heissen müsste „Rosewood – s’Läbe hätt eus grad vo dä Bühne gfägt“, gilt wahrscheinlich noch dieses Jahr dann wieder das alte Motto: „Rosewood – s’Läbe fägt“.