Nächster Halt – mal wieder Basel
Outlaws finden ihren Weg ohne fremde Hilfe. Ein prächtiges Beispiel dafür: Roli Kaufmann, die markante Country-Stimme aus Basel. Im Kindergarten galt Roli als hoffnungslos unmusikalisch. 1971, nach dem Stimmbruch, gestattete sich der Junge die Selbsteinschätzung, dass seine Stimme so schlecht nun auch wieder nicht sei. Zum Glück!
Mit dem ersten Geld kaufte er sich eine Höfner-„Wandergitarre“, sie ist noch heute in seinem Besitz. Für Unterrichtsstunden gab’s kein Budget; Kassetten, Tabulaturen und zwei Ohren waren die künftigen Lehrer. Chansons von Mani Matter eroberten sein Herz, aber auch Folk-Grössen wie Woody Guthrie, Pete Seeger, Joan Baez und Bob Dylan. 1973 schliesslich das Schlüsselerlebnis: Kris Kristofferson und Johnny Cash – Rolis Liebe für den „Boom-Chicka-Boom“-Sound war entfacht. Die ersten Songs seiner beiden Helden fanden den Weg ins Lagerfeuerrepertoire – und allmählich auch Stücke von John Denver, Emmylou Harris und Merle Haggard.
Matura, Studium und Militärdienst führten dazu, dass es kein Senkrechtstart wurde. Bis 1979 hatte Kaufmann keinerlei Kontakte zur Country-Szene, bis er zufällig in ein Konzert der Basler Country-Band Train hineinstolperte. Wenig später entdeckte er die Ausschreibung für das 1. Nationale Marlboro Country & Western Festival vom 4. November 1979 im Kongresshaus Zürich. Roli bewarb sich mit einer „grottenschlechten Aufnahme“, wie er sich erinnert; zwei irgendwie miteinander verbundene Kassettenrecorder, ein billiges Mikrofon und ein winziges Mischpult, welches er teilweise mit den Füssen bediente. Jurymitglied Chuck Steiner erzählte später, dass er Kaufmann mit den Worten „die Aufnahme ist zwar eine Katastrophe, aber die Stimme hat was“ empfohlen habe. Roli darf auf die Kongresshaus-Bühne – als einziger Solokünstler, in Konkurrenz mit sieben Bands, unter anderem Train und einem gewissen John Brack. Kaufmann: „Ich ging mit einem Gottvertrauen auf die Bühne, welches mich noch heute erstaunt. Ich kannte keinen Menschen, kam direkt aus einem WK, war schlecht vorbereitet, stand vor über 1.000 Leuten, spielte drei Eigenkompositionen und einen Johnny-Cash-Song, plauderte zwischendurch ein wenig – und konnte es kaum fassen, dass mich die Publikumsjury hinter Siegerband Bluegrass Family und den Country Ramblers auf Platz drei setzte!“ Wenige Tage später klingelte das Telefon, Kurt Schaad von der TV-Sendung „Karussell“; noch in der gleichen Woche war Roli im Fernsehstudio – und glaubte für einen Moment an den Anfang einer grossen Karriere.
Der Stein kam jedenfalls ins Rollen: Die Basler Band Train, 1974 von Martin Rohner und Rikky Geiser gegründet, wurde in Zürich auf den ausdrucksstarken Sänger aufmerksam – und so wurde Roli 1980 für vier Jahre ihr Leadsänger. Train gehörten damals zu den führenden Bands in der jungen Schweizer Country-Szene, die Gigs kamen von allein, die Truppe spielte bei Angy Burris Westernball in Luzern, auf dem zweiten Marlboro-Festival im Hallenstadion (25. April 1981, Train erreichten den zweiten Rang) und mehrmals im legendären Atlantis in Basel. Auch das Fernsehen meldete sich wieder, sogar in Deutschland („Country Music“ mit Gunter Gabriel) und in der Schweiz („Iistiige bitte“ mit dem Trio Eugster). Schliesslich entstand in diesen vier Jahren auch eine LP („Train Country-Band“), aufgenommen im Blackwood-Studio von Helmi Edinger, der zu jener Zeit bei Train als Bassist fungierte. Doch 1984 war Schluss, die Band löste sich auf.
Für Roli Kaufmann folgte eine krankheitsbedingte zweijährige Pause, dann ging die Reise weiter. Im Sommer 1986 trafen sich bei einem privaten Fest drei ehemalige Train-Mitglieder wieder: Elaine Leypoldt, Rikky Geiser und Roli Kaufmann, und so erhob sich eine neue Band namens Phoenix aus der Asche: ein Trio, rein akustisch mit zwei Gitarren und drei Stimmen, in der Tradition des legendären Folk-Trios Peter, Paul & Mary. Phoenix spielten anfänglich vor allem auf kleinen Bühnen, in Clublokalen, bei Firmenanlässen oder auch im „Hula Club“ der legendären Hula Hawaiians in Basel. Als erstes Highlight schliesslich ein Auftritt bei einer Gala in der MUBA Basel gemeinsam mit Stars wie Nella Martinetti, Paola, Hans-Joachim Kulenkampff oder Udo Lindenberg. Im Frühling 1989 dann die grosse Chance: Managerin Alice Ammann (mittlerweile Alice Ravasi, ehemalige Train-Sängerin) meldete Phoenix heimlich für die Teilnahme an der „Rudi-Carrell-Show“ im Ersten Deutschen Fernsehen an. Die Basler schafften es in die Sendung vom 21. Oktober 1989 als „Peter-Paul-&-Mary-Imitatoren“, genauer gesagt als eine von fünf Bands unter 500 Bewerbern allein aus der Schweiz. Der Stress war riesig, tagelange Proben in Köln; Kaufmann bereut die Tortur nicht, bezahlte sie aber mit erneuten Gesundheitsproblemen und einer anschliessenden Rückkehr ins Spital. Der insgeheim erhoffte Durchbruch blieb aus, die Reaktionen auf die Sendung waren ernüchternd. Immerhin entstand in der Folge die erste und einzige Platte von Phoenix, „Love Is The Key“. 1991 reichte es dann noch für einen zweiten Platz bei der Ausscheidung zum „Euro Country Music Masters“ im Albisgütli, doch irgendwie funktionierte das akustische Konzept auf Dauer nicht. 1991 wurde aus dem Trio deshalb ein Sextett, neu mit Heinz Stampfli (Keyboards), Armin Wagner (Bass) und Ruedi Weber (Drums). Das Repertoire verschob sich in Richtung Modern Country, der Start war vielversprechend – zwischen 1992 und 1994 spielte das Sextett circa 60 Konzerte, auch im nahen Ausland, und kam erneut im Schweizer TV (1992, in den Sendungen „Risiko“ und „Country Roads“). Doch 1994 machte sich eine Ermüdung bemerkbar; geplant war zwar noch die Aufnahme einer CD, sogar mit Jeff Turner als Produzent, doch der Atem reichte nicht – noch vor dem Studiotermin lösten sich Phoenix auf – mit einer grossen Goodbye-Party am 25. November 1994 im Atlantis.
1996 hatte Roli Kaufmann bereits wieder eine neue Truppe um sich: Bassist Hanspeter „Casey“ Gasser, vormals mit Peter Gisin (Dobro, Gesang) und Andy Wäldele (Fiddle, Mandoline) bei den Country Pickers, Pesche Hartmann (Schlagzeuger von Sanna & Colored Leaf), etwas später auch Ronny Arber (Leadgitarre, Pedal-Steel) und Rikky Geiser (Gesang, Gitarre, langjähriger Weggefährte bei Train und Phoenix). Die Formation nannte sich Diamonds & Dust in Anlehnung an das legendäre Album „Diamonds & Rust“ von Joan Baez. Andy Wäldele wurde später durch Tommy Lustenberger (Klavier) ersetzt. Musikalisch setzte man auf Modern Country und orientierte sich an Alan Jackson, George Strait, Dwight Yoakam oder den Mavericks. Die Gigs liessen nicht auf sich warten, zu den Highlights zählten das Swisscom Open Air in Muttenz (im Vorprogramm von Becky Hobbs und den Bellamy Brothers) sowie die Swiss Talent Show 1998 im Albisgütli (dritter Platz). Die hochkarätige Besetzung war letztlich aber der Grund für ein rasches Ende; weil praktisch alle Bandmitglieder auch in andern Formationen spielten, wurde es immer schwieriger, freie Daten zu finden. Ende 2000 war Schluss!
Es folgten zehn Pausenjahre, in denen Roli erst recht merkte, wie wichtig für ihn Musik ist. Nach einem 2009 gescheiterten Versuch eines Train-Revivals entstand 2012 endlich ein neues und bis heute aktuelles Projekt: Route 65 mit Hanspeter „Casey“ Gasser, Ronny Arber (beide ehemals Diamonds & Dust), Enzo Bellini (Drums) und Roli Kaufmann. Als Keyboarder stiess bald auch ein gewisser René Witschi (ja, unser Chefredaktor und Herausgeber) dazu, Elaine Leypoldt (Ex-Train, Ex-Phoenix) half zudem als Sängerin aus, blieb hängen, und mit Sabrina Philipp kam noch eine weitere Sängerin. Eine hochklassige Modern-Country-Band, die in den vergangenen Jahren immer wieder von sich reden machte. 2018 ersetzte Tommy Lustenberger (früher bei Diamonds & Dust und Bonnie Jeanne Taylor) René Witschi, weil der schliesslich mehr als genug zu tun hat, uns mit Country Style zu verwöhnen. Gleichzeitig zog sich Elaine Leypoldt zurück. Auftritte beim Trucker & Country-Festival Interlaken, Bluegrass Festival auf dem Grunderinseli Thun, Country Festival in Lausanne, beim Festival im Schlossgut Münsingen oder bei der Sponsorenparty der Country Night Gstaad sowie die CD „Crossroads & Junctions“ (2017) gehören zu den Highlights von Route 65. „Aufhören ist noch lange keine Option!“, meint Roli Kaufmann. Zu unserem Glück! Wir danken Roli für sein unermüdliches Schaffen.