Seelenverwandte im schönen Einklang

Anna Känzig & Tobey Lucas - Seelenverwandte
Tobey Lucas (Bild: Werner Büchi)
Mit ihrem gemeinsamen Album „Two Of A Kind“ legten die Zürcher Singer/Songwriter Anna Känzig und Tobey Lucas mitten im Corona-Herbst 2020 eine zehn Lieder umfassende Duettsammlung auf. Das fein ziselierte Gemeinschaftswerk übertrifft selbst hohe Erwartungen. Mitte November haben wir uns mit ihnen darüber unterhalten können.

Country Style: Der Produktionszeitraum des Albums betrug über ein Jahr. Wieso so lange? Anna Känzig (AK): Wir haben es nicht an einem Stück aufgenommen. Es waren verschiedene Studio-Sessions, die sich letztlich über diesen Zeitraum hinzogen. Die Nettoaufnahmezeit im Studio betrug insgesamt nur ungefähr drei Wochen.

Die Songwriting-Credits weisen Euch und Georg Schlunegger als verantwortliche Liederschreiber aus. Zwei Männer und eine Frau – trotzdem ist mein Eindruck, dass das Endprodukt unverkennbar weibliche Züge trägt. Was könnte diesem Eindruck zugrunde liegen? Tobey Lucas (TL): Darauf gäbe es verschiedene Antworten. Zuerst ist es ein Gemeinschaftswerk von drei Leuten, und es finden sich darin Elemente von allen. Zweitens könnte das mit Deiner eigenen Wahrnehmung zusammenhängen. Drittens könnte es bei diesem Projekt an der Arbeitsteilung beim Schreiben liegen, wo die männliche Seite vielleicht das Schwergewicht eher auf das Handwerkliche – Männer achten oft stärker auf Strukturelles, beispielsweise die Reime in Texten – gelegt haben mag und etwas weniger auf das Persönliche. Und viertens – wen juckt’s? Heutzutage sind die Gendergrenzen sowieso in Auflösung begriffen.

AK: Möglicherweise hängt es auch damit zusammen, dass man im Country-Genre, verglichen beispielsweise mit Folk, andere Texte gewohnt ist: solche, die oft mehr machomässig daherkommen. Andererseits ist mir aufgefallen, dass ein grosser Star wie Keith Urban in der Mehrzahl seiner Lieder/Texte romantische Liebesbekundungen macht. Das ist spannend und zeigt doch, dass da ein Wechsel weg von den (ausgetretenen) Themen wie etwa Verluste – oder Autos – im Gang ist.

Das Album hat einen unverkennbar poppigen Vibe. Vor allem wegen der Produktion. War das von Anfang ein Ziel gewesen oder hat sich das erst im Verlauf herauskristallisiert? AK: Das hat sich definitiv erst so herauskristallisiert. Wir gingen jeweils ins Studio und fingen an, Lieder zu schreiben, ohne das musikalische Gewand bereits festgelegt zu haben. Ich kam von einer Seite, Tobey von seiner und Georg noch einmal von einer anderen. Es folgte ein „Work in progress“-Prozess, in dessen Verlauf das musikalische Gewand im Studio nach und nach entstand.

Mit dem Coop-Weihnachtssong A Million Years hat Euer Bekanntheitsgrad hierzulande einen Sprung gemacht. So jedenfalls mein Eindruck. Ferner scheint mir, dass es vom Sound des Weihnachtssongs zum Sound des Albums nur ein kleiner Schritt ist. Unterliege ich da einer Täuschung oder führte da wirklich eins zum andern? TL: Das stimmt – der Eindruck täuscht nicht.

Hat dieses Weihnachtssongprojekt zu einem spürbaren Schub bei Euch geführt? AK: Ich glaube, es war vor allem ein Schub für das Projekt Anna-Tobey. Vorher kannte man uns ja eher einzeln. Aber um dieses Projekt zu etablieren, war es natürlich ein extrem guter Anschub für uns. Und es war auch ein glücklicher Zufall, dass Georg Schlunegger bereits diesen Coop-Weihnachtssong produziert hatte und wir im Zuge der ganzen Albumproduktion auch noch diesen Song machen konnten. Deshalb ist Dein vorgängiger Eindruck völlig richtig: Man hätte diesen Song problemlos ins Album „Two Of A Kind“ integrieren können, weil er gut zu den andern Liedern gepasst hätte. Definitiv war er aber eine gute Startrampe für das ganze Album.

Was an Eurem Album auffällt, ist die sehr sorgfältige Produktion. Beim Hören gewinnt man den Eindruck, dass alles perfekt an seinem Platz sei – nichts stört. War diese beinahe auffällige Sorgfalt bei der Produktion ein ausdrückliches Ziel? TL: Es ist das Resultat von vielen Jahren des Zusammenspiels. Beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen Anna und mir, die jetzt schon über acht Jahre besteht, und dann auch mit den Musikern, die mit im Studio waren. Das sind Musiker aus der Tobey Lucas Band, und sie haben auch schon oft mit Anna gespielt. Wir sind eine Art Kommune. Darüber hinaus haben diese Musiker auch noch andere Bands – das ist wie eine Art grosser Kuchen. Hier waren es aus diesem „Kuchen“ Chris Filter (Schlagzeug), Severin Graf (Bass) und Christian Wild (Klavier). Wir sind einfach extrem gut eingespielt und könnten sofort eine neue Band gründen, und es würde auch wieder so klingen. Einfach eine Folge daraus, dass wir schon so unglaublich viel miteinander gespielt haben. Punkt zwei ist, dass nur wenige Instrumente zum Einsatz kamen. Wenn man sich das Album anhört, hört man jedes einzelne Instrument und jeden Einsatz klar und deutlich. Es entsteht nie der Eindruck einer Klangsauce.

Das Lied, das durch Bescheidenheit im Auftritt auffällt, ist Young And Restless, obwohl es auch als richtige Arenahymne in einem Stadion denkbar wäre. Ihr habt Euch aber für eine zurückhaltende Interpretation entschieden. Warum? AK: Wir wollten, dass das ganze Album wie aus einem Guss klingt. Natürlich hätte man dieses Lied richtig „aufblasen“ können, aber das wollten wir bewusst nicht, weil es einen dann praktisch angesprungen hätte. Ein Leitgedanke bei den Aufnahmen war auch, das Album so aufzunehmen, dass wir es problemlos auf die Bühne übertragen können. Und da wir halt keine „Stadionband“ sind … Ein weiterer Nebeneffekt dieses Ansatzes ist, dass unser Publikum nicht enttäuscht sein wird beim Konzert, denn wir können die Lieder genauso spielen wie auf dem Album.

TL: Was mir auch immer besonders gefällt, ist, wenn das Kopfkino bei den Zuhörern anspringt. Mir gefallen oft Dinge besonders, die man auslässt oder bei denen so dick aufgetragen wird, dass sie sich bereits wieder selbst karikieren. Ich finde beispielsweise geil, dass Du dieses Lied auch als „Stadionsong“ hörst in Deinem Kopf.

Persönlich finde ich „Two Of A Kind“ ein sehr gelungenes Album.  Wenn ich mir als Kritiker vielleicht noch etwas wünschen würde, dann möglicherweise, dass vom Sound her noch die eine oder andere Überraschung drin gewesen wäre. Andererseits macht gerade der schöne Fluss der Platte eben auch ihren besonderen Reiz aus … TL: Die Frage „Wann bricht das Teil endlich mal aus, an welcher Stelle?“ wurde mir auch schon von anderen gestellt. Worauf ich jeweils mit der Gegenfrage antwortete: „Hey, hältst Du es aus, dass es nicht ausbricht?“ Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, den ausgetretenen Pfand zu nehmen, wo beinahe 99 Prozent aller Songs langsam beginnen und sich dann im Verlauf bis zum Ende hin in ein Crescendo steigern – oder fast. Und es ist interessant zu beobachten, was diese Verweigerung bei den Leuten auslöst: Es fühlt sich möglicherweise fast wie ein verwehrter Orgasmus an, könnte ich mir vorstellen.

Sprechen wir noch kurz über die Auftrittssituation in Corona-Zeiten. Wie frustrierend fühlt es sich an, wenn man ein Album – mit durchaus kommerziellem Potenzial – veröffentlicht hat und man es nicht richtig vermarkten kann – insbesondere bei Liveauftritten? Wie viele Auftritte habt Ihr noch gehabt seit dem Lockdown im Frühling? TL: Wir hatten eigentlich noch einige – im Vergleich zu andern –, aber jetzt seit der zweiten Welle ist für dieses Jahr alles abgesagt worden.

AK: Ich habe noch einen Gig vor mir – mit meinem Jazz-Projekt. Aber das war’s dann für dieses Jahr. Alles andere wurde abgesagt. Das Gute ist aber, dass sich Tobey und ich uns mental grundsätzlich auf der positiven Seite des Lebens bewegen. Klar, die Absagen schmerzen, aber wir haben nach Alternativen Ausschau gehalten und haben beispielsweise versucht, mehr Radio-Promo zu machen und uns generell an die Situation anzupassen. Es gereicht uns jetzt zum (relativen) Vorteil, dass wir so flexibel sind, beispielsweise als Duo. Wir können Auftritte spielen, die andere nicht mehr können, weil sie immer gleich mit einer ganzen Band antanzen müssen. Und wir versuchen generell, aus der Not eine Tugend zu machen.

Anna, Tobey, ich danke Euch für dieses Gespräch.