Mississippi

Breuers Worte Mississippi
Bild: Geri Stocker

Heute begeben wir uns in den „Hospitality State“, wie es früher auf den Nummernschildern hiess, was sich nicht zwingend mit „Hospitalismus-Staat“ übersetzen lässt. Von Mississippi ist vor allem das Delta bekannt, vom Alpha oder Beta hat noch nie wer gehört. Ebenso wenig weiss man, ob der Name mit einer bestimmten Frau (Missis) zu tun hat. Es ist nicht einmal klar, ob der Staat nach dem Fluss benannt wurde oder umgekehrt. „One, Mississippi“ ist nicht nur eine amerikanische Fernsehserie, sondern auch eine Zeiteinheit: Es braucht eine Sekunde, um „One, Mississippi“ zu sagen, weshalb es gern zum Zählen verwendet wird.

Generell ist der Staat bekannt für seine atemberaubend schnell arbeitende Gerichtsbarkeit: Nachdem der Bürgerrechtsaktivist Medgar Evers 1963 in Jackson ermordet worden war, dauerte es nur 31 Jahre, bis sein Mörder Byron DeLa Beckwith verurteilt wurde. Bob Dylan, Phil Ochs und Nina Simone haben darüber gesungen. Der Staat versteht sich überhaupt als Arbeitsbeschaffungsmassnahme für Bürgerrechtler. So hat sich Dylan die Rassenunruhen 1962 in Oxford vorgeknöpft, wo der erste „student of color“ James Meredith von der Nationalgarde vor wütenden Demonstranten geschützt werden musste. Emmylou Harris wiederum beschäftigte sich in einem Song mit dem Schicksal von Emmett Till, einem 14-jährigen Lynchmordopfer, der sich angeblich einer weissen Frau genähert hatte. Die beiden Angeklagten wurden für „nicht schuldig“ befunden. Ganz gleich, was man über den Staat recherchieren möchte, oft landet man bei diesen Themen. Noch heute passiert in Mississippi manches im Klandestinen, mitunter sogar im Ku-Klux-Klandestinen. Das ist nicht schön, andererseits zahlen Mississippians keine Kfz-Steuer.

Überhaupt ist der Staat bei vielem weit vorne dran: Bereits 1966 schaffte man die Prohibition ab, was bedeutet, dass viele der oben erwähnten Ereignisse passiert sind, als die Menschen einen total klaren Kopf hatten. Zur Kompensation hatte Edward Adolf Barq in Biloxi immerhin das Root Beer erfunden, A.D. 1898. Schon am 16. März 1995 ratifizierte Mississippi als letzter Bundessstaat den 13. Verfassungszusatz zur Abschaffung der Sklaverei. Nur weil der Beschluss nicht umgehend der Federal Reserve zugestellt wurde, konnte er erst am 7. Februar 2013 in Kraft treten, aber das kann schliesslich überall passieren. Na, vielleicht auch nicht. Wenig später, im Jahre 2020, ersetzte man sogar die Staatsflagge, die noch Elemente der Kriegsflagge der Konföderierten enthalten hatte, durch eine neue mit einer unverfänglichen Magnolienblüte drauf. Bei anderen Dingen kann es merklich flotter gehen: Als dritter Staat der USA erlaubte Mississippi das Glücksspiel.

Studiert man Country-Star-Geburtsurkunden, begegnen einem Namen wie Chris LeDoux (Biloxi), Jimmy Buffett (Pascagoula), Charley Pride (Sledge), Faith Hill (Ridgeland), die eigentlich Perry mit Nachnamen heisst, ebenso wie die Band Perry aus Jackson. Faith Hill, das klingt wie der Name einer Baptistenkirche. Nicht zu vergessen Jimmie Rodgers (Meridian), den man den „Vater der Country-Musik“ nennt. Elvis (Tupelo) hat es nur zum „Schwager“ derselben gebracht. Von den Hundertschaften Blues-Musikern mag man gar nicht erst anfangen, da hätte man zu viel zu tun. Alle haben sie eines gemeinsam: Um Erfolg zu haben, mussten sie den Staat verlassen. Das berühmteste Bauwerk war lange Zeit die Brücke über den Tallahatchie River, von der Billy Joe McAlister gesprungen ist, der von Bobbie Gentry unsterblich gemacht wurde. Hier haben wir es mit der einzigen Brücke zu tun, die je einen Grammy gekriegt hat – im Jahre 1967. Fünf Jahre später ist sie eingestürzt.

Mississippi, ein Staat voller Gegensätze. Alter Süden, tiefer Süden. William Faulkner und der grossartige Larry Brown, beide schrieben in Oxford, einer Stadt, in der es übrigens bei Strafe untersagt ist, mehr als 100 Mal um den Marktplatz zu fahren. Bereits 1834 befreite Captain Isaac ­Rossin Lorman seine Sklaven und arrangierte ihren Trip nach Afrika, wo sie den Staat Liberia gründeten. 1914 war Mamie Thomas in Vicksburg die erste Briefträgerin auf dem Land, ein Job, der bis dato Männern vorbehalten war. Diese wiederum müssen sich vorsehen: Überall ist das Rasieren auf der Hauptstrasse verboten. Und sexuell erregt dürfen sie in der Öffentlichkeit auch nicht sein. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass in Greenwood mehr Bibeln gebunden werden als sonst wo in den USA. Natürlich wird so ein widersprüchlicher Staat ordentlich besungen. Wie immer in zehn Beispielen:

The Secret Sisters: Mississippi

Charley Pride: Mississippi Cotton Picking Delta Town

Kate Campbell: Mississippi And Me

Faith Hill: Mississippi Girl

John Mohead: Mississippi Miss

Steeldrivers: Ghosts Of Mississippi

Jim White: Handcuffed To A Fence in Mississippi

Erin Ray: Mississippi Queen

Sugarland: Down In Mississippi

Caroline Herring: Mississippi Snow

Dieser Artikel erschien in der Country Style-Ausgabe Nr. 147/2023.

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