Zusammen mit drei Singer/Songwritern und der Band 49 Winchester sorgte der Auftritt des Country-Weltstars in der ausverkauften The Hall in Zürich-Dübendorf am 10. Oktober 2023 für so einige Glücksmomente und -gefühle bei den Fans. Zusammen mit drei Singer/Songwritern und der Band 49 Winchester sorgte der Auftritt des Country-Weltstars in der ausverkauften The Hall in Zürich-Dübendorf am 10. Oktober 2023 für so einige Glücksmomente und -gefühle bei den Fans.
Dank Kameras, die nicht nur das Bühnengeschehen, sondern dazwischen auch immer wieder Publikumsreaktionen auf den drei riesigen Leinwänden im Hintergrund einfingen, konnte kein Zweifel bestehen: Rund 5.000 Menschen, teilweise von nah und fern (Ausland), genossen den Auftritt des Country-Superstars in vollen Zügen. Aber warum eigentlich?
Das Phänomen Luke Combs zu erklären ist mittlerweile erstaunlich einfach geworden – man muss nur hinsehen und hinhören. Da ist ein übergewichtiger Studienabbrecher, der aussieht wie ein junger amerikanischer Jedermann von ausserhalb, in den letzten Jahren zum mittlerweile globalen Superstar gereift, weil er weitgehend einfach er selbst geblieben ist und das macht, wozu er offenbar grosses Talent besitzt: singen, Lieder schreiben und auftreten. Das allerdings so, dass es heute bei einem weltweiten Publikum angekommen ist. Ein ganzes Konzert aus Nummer-eins-Hits bestreiten zu können, wenn er denn wollte, schafften nur wenige in so kurzer Zeit wie er. Grosse Show, Spektakel oder Firlefranz? Fehlanzeige. Er selbst ist die Attraktion.
Frauen singen begeistert mit bei seinen Liebesliedern, die auf simple Weise grosse Gefühle auszulösen vermögen. Genau so was wie in Love You Anyway oder Beautiful Crazy will ich auch spüren, glaubte man dabei zu erkennen. Das männliche Publikum feiert ihn, weil man so einen jederzeit auch gern als Kumpel hätte auf ein Bier vor der Garage oder am Grill. Dass Luke Combs mittlerweile die Bühnenpräsenz und Ausstrahlung eines Weltstars hat, der in den USA selbst grösste volle Sportstadien mühelos zum Aufspringen und Aufschreien bringt, wenn er die Bühne betritt, fällt seinen Fans entweder gar nicht weiter auf – oder sie geniessen diesen Traum einfach mit ihm.
Als in Dübendorf kurz vor halb zehn Uhr die Lichter ausgingen, stimmte Sweet Caroline von Neil Diamond das Publikum ein, das den Ball begeistert aufnahm und aus voller Kehle mitsang. Ob das bereits zur Show gehörte? Wen juckte es – Sweet Caroline, pam, pam, pam …! Dann ein Rock-Intro, ein ins Dunkel projizierter Totenkopf mit Baseballkappe und Bart, danach gleissende kreisende Weisslichtscheinwerfer, welche die Dunkelheit zerschnitten und blendeten, Gestalten, die auf die Bühne an ihre Plätze huschten, und ganz zum Schluss erschien ein Rundlicher, der an einen Hausmeister erinnerte, der im Musiksaal noch kurz nach dem Rechten sieht. Licht an, und der Hauswart legte mit Lovin‘ On You gleich mal voll los. Hannah Ford Road und Cold As You folgten rockig auf dem Fuss.
Das wäre ein toller Einstieg gewesen, wenn der Sound gut gewesen wäre. Aber die Klangwand der an Stadionouvertüren gewöhnten Begleitband überspülte Combs‘ Gesang wie ein Tsunami. Auch beim darauffolgenden One Number Away musste man befürchten, ein Konzert zu erleben, das wegen schlechter Tontechnikarbeit mehr zum Ärgernis als zum Vergnügen werden könnte. Erst bei der anschliessenden Ballade Love You Anyway konnte man seine Stimme und instrumentale Nuancen erstmals wahrnehmen – davor war es wie Eintopf gewesen: herzhaft zwar, aber eine dicke Masse. Es ist gewiss keine ganz leichte Aufgabe, eine siebenköpfige spielfreudige Band aus erprobten Musikern so abzumischen und im Zaum zu halten, dass sie dem Boss vorn auf seiner Plattform, die in den Zuschauerraum hineinreichte, zu- und ihn nicht überspielte. Das zu steuern ist Aufgabe der Leute am Mischpult, die es zu Beginn vermasselten.
In seiner ersten Ansprache ans Publikum meinte er, dass er sich manchmal noch kneifen müsse, wenn plötzlich Orte wie Zürich, Switzerland auf seinem Tourplan auftauchen. Man glaubte es ihm sofort.
Mit Going, Going, Gone nahm er den Ball wieder auf, und bei Must Have Never Met You sang ein Frauenchor aus dem Zuschauerraum vielstimmig mit. Eine solch herrliche Gelegenheit, Selbstbewusstsein und weibliche Softpower zu feiern und dabei den Boyfriends einen kleinen warnenden Wink zukommen zu lassen, liessen sich viele nicht nehmen.
Doin‘ This leitete er mit der Entstehungsgeschichte des Songs ein, als die Pandemie genau das, was hier abging und was er am besten konnte, plötzlich über den Haufen warf und existenziell infrage stellte. Bei der Dreifachdosis Beautiful Crazy, Forever After All und Even Though I’m Leaving nahm die Halle ein Bad der grossen Gefühle. Luke Combs spielte eines seiner Trumpfasse aus: Berührendes. Darunter fiel auch seine mit ausladender Armbewegung vorgetragene Versicherung, dass es all das nur wegen des Publikums gäbe. Das ging runter wie Öl. Sein diesjähriger Sensationshit – das Cover von Tracy Chapmans 80er-Hit Fast Car – zeigte sodann seine andere grosse Stärke: aus einem Lied einen Luke-Combs-Song (-Hit) machen zu können. Sehr gelungen, das Original wie sein Cover.
Die siebenköpfige Band wurde zu einem Medley aus den 90er-Klassikern Dust In The Bottle (David Lee Murphy) und Meet In The Middle (Diamond Rio) einzeln vorgestellt, bevor er mit den eigenen Klassikern der Halle wieder viel Grund zum Mit- und Abgehen lieferte: mit dem famosen Debüthit Hurricane, den Männer-/Bierhymnen 1, 2 Many und Beer Never Broke My Heart sowie der vielleicht vergnüglichsten Kiss-Goodbye-Nummern der jüngeren Country-Musikgeschichte – When It Rains It Pours.
Nach 90 Minuten mit 17 Hits plus den Zugaben Better Together (solo akustisch) und The Kind Of Love We Make (noch mal mit ganzem Orchester in Hochstimmung) war das grosse Vergnügen dann zu Ende. Noch ein paar Minuten T-Shirts unterschreiben und dann ab nach Brüssel zum nächsten Auftritt am nächsten Tag. Man hatte einen Superstar erleben wollen – man bekam ihn. Und eine One-Man-Show ohne grosse Show, die mittlerweile auch in Riesenstadien funktionieren muss, wo musikalische Feinheiten eben hinter dem eindrücklichen Gesamterlebnis zurückstehen müssen. Das geht offenbar in Ordnung – eine Million verkaufte Tickets dieses und absehbar nächstes Jahr lügen nicht.
Das Vorprogramm
Wer auf Feinheiten aus war an dem Abend, kam dennoch auf seine Kosten. Die Vorgruppe 49 Winchester übertraf alle Erwartungen. Und die waren nicht unbedingt bescheiden, waren sie doch eben erst noch Nominierte für einen Americana-Award in der Kategorie „Duo/Group of the Year“ gewesen. Frontmann Isaac Gibson und seine fünf Spielkameraden aus Russell County, Virginia spielen eine Form von (nördlicherem) Southern Rock, die so abwechslungsreich wie eindringlich ist. Hier war der Sound exzellent gemischt und brachte das eng gewobene Klangbild dieser Band, die über zehn Jahre zusammengewachsen ist, auszeichnet zur Geltung. Gibsons etwas hohe Stimme klang genauso schneidend, wie sie eben ist, und der rockige Opener Chemistry führte sofort zu Reaktionen. Die anrührende Heimatode Russell County Line mag zwar ihr bekanntester Song sein bis dato, aber die Piano-Country-Bluesrock-Nummer Damn Darlin‘, deren Klavier-Intro an diesem Abend an Progressive-Rock-Zeiten aus den 70ern erinnerte, zeigte ihre ganze musikalische Bandbreite eindrücklich. Klavier, Keyboard und Steel-Guitar sind nicht nur Zutaten, sondern elementare Bestandteile ihres stilistisch weit offenen Appalachen-Rock-Sounds. Last Call, als Abschluss ihres Programms aus zehn Songs, hatte sogar einen leichten Steppenwolf-Vibe. Der Auftritt war eine erstklassige Vorstellung, um einen bleibenden ersten Liveeindruck zu hinterlassen.
Die Musiknacht war kurz vor 20 Uhr von drei Singer/Songwritern, die an einigen von Luke Combs‘ Hits mitgearbeitet haben, eröffnet worden. Schön aufgereiht auf Hockern nahmen sie bei diesem Einblick in den Maschinenraum Nashvilles die Gelegenheit wahr, sich selbst nicht nur als Songwriter, sondern auch als Sänger kurz vorzustellen. „Songwriters in the Round“ heisst dieses gängige Akustikformat in der Music City. Ray Fulcher stach bei diesem musikalischen Speeddating als der interessanteste Songwriter hervor. James McNair als absoluter Spezialist für Sachen mit dem Wort „Beer“ drin und Drew Parker als der beste Sänger unter den dreien. Abwechselnd boten sie Kostproben ihres Schaffens für und mit anderen Kollegen, aber auch für sich selbst. Nach drei Durchgängen, während denen sie ihre Songs akustisch vortrugen, blieben folgende Lieder hängen: Find The Matches und Lying For A Living von James McNair, At The End Of The Dirt Road von Drew Parker und Down On My Window von Ray Fulcher. Einem kommerziellen Durchbruch als Sänger (von Hits) käme wahrscheinlich Drew Parker am nächsten, hatte man den Eindruck nach dieser Darbietung.
Dieser Artikel erschien in der Country Style-Ausgabe Nr. 154/2023.
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