Country Night mit Fixstern

Country Night Gstaad 2023 (Bild: Country Style), Country Night mit Fixstern
Publikum bei der Country Night Gstaad 2023 (Bild: Country Style)
Bei der 34. Ausgabe der Country Night Gstaad vom 9. September 2023 überstrahlte ein Name alles: Miranda Lambert. Die Texanerin steht wie kaum eine andere für die weibliche Seite der Country-Musik in diesem Jahrhundert. Mit ihr bestritten ein legendärer Rückkehrer und zwei jüngere Traditionalisten das Programm.

Gstaad präsentierte sich an diesem aussergewöhnlich warmen Samstagnachmittag im Spätsommer wohltemperiert wie so oft. Trotz eines Musikfestivals, das nur ein paar Gehminuten ausserhalb des Zentrums stattfand, ging das Leben ungestört seinen gewohnten ruhigen Gang. Die Terrassen der Promenadencafés waren voll, die Schaufenster der Geschäfte sehenswert, die Credit-Suisse-Filiale existierte noch, und der Feinkosthändler präsentierte eine Champagnermarke mit über 100-jähriger Kellereigeschichte hinter der Ladenscheibe. Man lebt schliesslich nicht von Kaviar allein. Nur die beeindruckenden zwei, drei Traumautos früherer Jahre waren einer Galerie gewichen, die jetzt unter anderem Superman- und Batman-Figuren, aber fette, ausstellte in jenem Showroom an bester Passantenlage. Auf ein Fitnessgerät als Kontrast verzichtete der Kunsthändler – ein paar übergewichtige Superhelden mussten genügen zur Darstellung von Ironie oder was auch immer. Weiter die Promenade hoch grüsste ihr Kumpel Captain America von grosser bunter Leinwand herunter. Superhelden allenthalben, da passte es doch, dass später im Festzelt auch noch Country’s Wonder Woman Miranda Lambert ihren grossen Auftritt haben würde. Prada, Gucci und Louis Vuitton im Chalet, Stars im Zelt – Gstaad, wie es leibt und lebt. Das Festgelände präsentierte sich ebenfalls wie gehabt: eine kleine Chilbi und Verpflegungsstände vor der Tennishalle, die Untergrunddisco neben dem Eingang in den temporären Hillbilly-Himmel und kunterbuntes Treiben für Jung und Alt rundum.

Florian Fox’ Aufstieg hätte augenscheinlicher nicht sein können. 2019 bestritt er in Gstaad spätnachts bis in die frühen Morgenstunden noch das After-Show-Partyprogramm in der Tennishalle mit seiner Band Black Barons und Gastsängerin Jessie Wezel. Nur vier Jahre und eine Pandemie später war ihm mit seiner neuen Fox-Band im Rücken der Sprung auf die grosse Bühne gelungen, wo er um 18 Uhr den Auftakt zur diesjährigen Country Night machte. Seine Verehrung für Johnny Cash und dessen Sound sind kein Geheimnis. Mit dem von ihm geschriebenen Blueberry Mountain Train gleich zu Beginn wurde das auch rasch deutlich. Der Zug ging im Boom-Chicka-Boom-Stil pünktlich ab. In den letzten Jahren ist der 31-jährige ehemalige Frontmann der Black Barons regelmässig im Süden der USA getourt und aufgetreten. Prägende Erlebnisse und Erfahrungen, die ihn auch zu der flotten biografischen Randnotiz Swiss Guy inspiriert hatten, die mittlerweile fast schon so etwas wie sein „Signature Song“ geworden ist. Die Tatsache, dass ein junger Mann mit so vielen Plänen – und Tourdaten – es im Zwischenmenschlichen nicht immer ganz leicht hat, deutete er in It Must Be Hard To Be A Woman von seinem Album „made in U.S.A.“ (2022) auf Umwegen an. In der Mitte seines Sets wartete wieder Cash mit Casey Jones. Die Eisenbahn zu Dampflokzeiten und Boom-Chicka-Boom sind in der traditionellen Country-Musik nicht totzukriegen und kommen immer noch an. Der grosse Applaus bewies das eindeutig. Seinem Nashville-Mentor Chuck Mead zollte er Dank und Anerkennung mit dessen Rock’n‘Roll-Nummer Daddy Worked The Pole, bevor er mit seinem bislang grössten Radiohit Georgia in bestem heutigem Nashville-Mainstreamstil den Schlusspunkt hinter sein Set aus zehn Liedern setzte. Für den darauf folgenden anhaltenden Applaus des Publikums bedankte er sich mit dem Klassiker Ring Of Fire als Zugabe. Ein beherzter Auftritt auf grosser Bühne, den seine Band in der ersten Hälfte da und dort aber ruhig noch etwas grooviger hätte hinlegen können.

Die Überraschung des Abends war die Show des Texaners Randall King (32). Wer seine Musik von Platte oder Videoclips her zu kennen glaubte, wähnte sich zu Beginn seines Auftritts im falschen Film. Da ging eine vierköpfige Rock-Band, inklusive Steel-Guitar, zu Werke mit einem Cowboytypen vorn am Mikrofon. Und sie taten es verdammt gut, auch wenn man während der drei ersten Songs nicht nur die Ohren, sondern alle Einstellungen im Kopf bezüglich Randall King nachjustieren musste, weil auf der Bühne nicht das kam, was man von seinen Clips her vielleicht kannte. Möglicherweise aber auch, weil der Tontechniker seine Aufgabe ungenügend löste. Dem Publikum schien das Ganze anfangs auch nicht so ganz geheuer gewesen zu sein, obwohl ihn zu Beginn sogar eine Gruppe Fans mit Plakaten direkt vor der Bühne begrüsst hatte. Die Mehrheit blieb wie festgenagelt auf ihren Sitzen, obwohl sich die Musik und Show so mitreissend entwickelten, dass es einen eigentlich aus diesen hätte herausreissen müssen. Was diesem Reporter nach etwa zwei Dritteln unwillkürlich widerfuhr. Keine Frage, dieser King hatte was. Das hatten ihm auch schon prominente Fürsprecher bestätigt, darunter Garth Brooks oder Robert K. Oehrmann, der Nashville-Historiker. Aber er wird nicht umhinkommen, sich eindeutiger zu positionieren, wie er wahrgenommen werden will, wenn er die ganz grosse Karriere anstrebt. Ob mit eigener moderner Handschrift oder als (weiterer) wohlklingender heutiger Vertreter des (schönen) Gestern. Der Auftritt war akustisch pompös wie ein Champions-League-Spiel eingeleitet worden und ging dann bis zum vierten Lied When My Baby’s In Boots ab wie die Post. Sein neotraditionelles Flair, das er als „modernisierte Version der Country-Musik“ beschreibt, kam bei You In A Honky Tonk, Mirror Mirror oder dem Alan-Jackson-Cover The One You’re Waiting On sehr schön durch. Ein Medley aus zehn 90ern-Country Hits zum Ende hin – darunter Friends In Low Places – unterstrich, wo er seine Musik verankert sieht. Mit der solo vorgetragenen Gospel-Nummer I Fly Away gedachte er am Ende seiner vor zwei Jahren verstorbenen Schwester. Wenn einen das nicht berührte, dann vielleicht sein Dank, dass er die Gelegenheit bekommen hatte, hierzulande aufzutreten.

Die Cajun-Musik ist eine stark regionale Ausprägung der Country-Musik. Ihr Hoheitsgebiet ist Louisiana, und der wohl bekannteste Herrscher ist der „King of Cajun“ Jo-El Sonnier. Dem mittlerweile 76-jährigen Sänger und Akkordeonisten war es in den 1970er- und 80er-Jahren gelungen, die Musik der Acadiens, die einst von Nordfrankreich aus Kanada und dann Louisiana besiedelten, aus den Bayous des Mississippi-Deltas bis nach Nashville zu tragen. Sein erster Auftritt in Gstaad war im Jahr 1994. Jetzt kam der Altmeister, fulminant wie eh und je, zurück und wusste in Begleitung von acht Musikern jene Stimmung zu entfachen, welche die Leute im tiefsten Süden der USA nach wie vor zum Tanzen bringt. Seinem persönlichen Credo folgend, jede Show so zu spielen, als ob es die letzte sei, ging er ans Werk. Was das hiesige Publikum schon immer an Cajun-Musik fasziniert hat, ist gar nicht so leicht zu erklären. Ist es deren Exotik? Oder die Verwandtschaft mit hiesigen Ländlermusikklängen, dem beliebten lüpfigen „Schottisch“? Seine wirklich feurig vorgetragenen Flammes d’Enfer sind ja einem „Schottisch“ im Grunde nicht unähnlich – einfach auf Speed getrimmt und ohne helvetische Hemmungen. Genauso der Cajun-Klassiker Jambalaya von Hank Williams, der das Reisgericht der Kreolen weltweit zum Begriff gemacht hat. In seiner Zeit in Nashville hatte Sonnier auch keine Berührungsängste mit dem dortigen Country-Sound – No More One More Time zeigte das beispielhaft. Beim coolen Tear Stained Letter mischte er die Stile gekonnt, und er schreckte natürlich auch nicht vor Rock’n’Roll-Klassikern wie Chuck Berrys in Louisiana angesiedeltem Johnny B Goode zurück – oder vor Sugar Bee. Sein Auftritt war ein Kracher und bewies, dass Musik schier grenzenlos ist, wenn sie von Könnern gemacht und gespielt wird.

Um einen Superstar wie Miranda Lambert Anfang September in Gstaad präsentieren zu können, müssen die anderen Sterne beinahe einmalig günstig stehen. Weil sie sich derzeit in einer „Übergangsphase“ befindet, wie ihre Managerin Marion Kraft es umschrieb, ihr Terminkalender einen Überseetrip zuliess und die Gstaader Verantwortlichen die richtigen Verbindungen sowie das nötige Budget hatten, konnte dieses kleine exklusive Wunder zu vorgerückter Stunde zustande kommen.

Die kleine Texanerin, ist eine Titanin ihres Fachs. Darüber können auch ihr im Alltag manchmal fast schon bescheidener Auftritt und ihre zumeist freundliche Zugänglichkeit nicht hinwegtäuschen. Sie ist ein absoluter Profi, aber vor allem eine Künstlerin, wie es nicht so viele gibt im Musikgeschäft. Aber konnte sie die hohen Erwartungen, für die sie selbst verantwortlich ist, auch auf den Punkt erfüllen?

Natürlich konnte sie. Es gab Momente, wie bei That’s What Makes The Jukebox Play sowie den gleich anschliessenden In Your Arms Tonight und The House That Built Me, wo man eine Stecknadel hätte fallen hören können im grossen Zuschauerraum. Zuvor hatte sie aus ihrem Rock’n’Roll-Herzen keine Mördergrube gemacht, als sie mit Giving Up On Love und John Prines That’s The Way The World Goes Round ihren Auftritt mit Wumms einleitete. Und wenn Famous In A Small Town nicht zu ihr und Gstaad passte – was dann? Mit sieben Musikern, die sie auch auf der Bühne in Las Vegas begleiten, wo sie dieses Jahr regelmässig mit ihrer Show „Velvet Rodeo“ zu erleben ist, kam sie ins Berner Oberland und bot eine Show mit 17 Liedern aus jenem Programm, die alles andere war als nur copy & paste. Dank Grossleinwänden konnte man ihr Gesicht deutlich sehen – mal blitzten die Augen, mal glänzten sie oder dunkelten ein – sie war in ihrem Element, und das Publikum hing gebannt an ihren Lippen. Ob Hirngespinste wie Tequila Does, weibliche Botschaften wie in If I Was A Cowboy oder To Learn Her; Gefühle, die wie bei Tin Man durch Mark und Bein gehen, Miranda Lambert beherrscht die ganze Palette. Sie ist nicht, wie sie glaubt, nur diejenige, welche die Flamme der Country-Musik übernommen hat, um sie zu hüten – sie ist die Flamme.

Fazit

Es gab dieses Jahr wieder mindestens drei gute und einen überragenden Grund, zu den schönsten zwei Country-Nächten auf dem europäischen Kontinent zu pilgern. Das Publikum schien das auch so zu sehen und kam zahlreich wie immer. Von den Künstlern bekam es zweifellos viel geboten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Tontechniker ihre Aufgabe nicht immer meisterten. Das dürfte nicht passieren.

Dieser Artikel erschien in der Country Style-Ausgabe Nr. 153/2023.

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