Beziehungsstatus: am liebsten stabil

Freundschaftliches Kraulen und Streicheln zur Begrüssung – besser als Herumfummeln an der Nase. (Bild: Angelika Schmelzer)
Freundschaftliches Kraulen und Streicheln zur Begrüssung – besser als Herumfummeln an der Nase. (Bild: Angelika Schmelzer)
Pferde sind soziale Wesen – das haben sie mit uns Zweibeinern gemeinsam! Sie sind von Natur aus keine Einzelgänger, sondern brauchen die ständige Anwesenheit von Artgenossen, am besten das Leben in einer stabilen Gruppe, um sich wohlzufühlen. Innerhalb der Herde entsteht ein dichtes Geflecht von Beziehungen, wachsen echte Freundschaften und entstehen ebenso intensive Abneigungen.

Vorbild Natur

An Wildpferden lässt sich gut beobachten, wie Pferde in freier Natur ihr Zusammenleben gestalten. Stuten und ihre weiblichen Nachkommen bleiben oft ein Leben lang zusammen und bilden kleinere Familienverbände. Sie werden begleitet von einem Hengst und angeführt von einer älteren Stute. Männliche Nachkommen werden von ihm früher oder später aus der Gruppe vertrieben und schliessen sich zu Junggesellengruppen zusammen. Der sogenannte Haremshengst wird irgendwann von einem jüngeren stärkeren Hengst aus der Herde vertrieben und bleibt dann meist allein.

In der Natur kommen also drei Konstellationen vor: Herden aus Stuten unterschiedlichen Alters, männlichen Fohlen und einem Hengst, ausserdem reine „Jungmännerherden“ und schliesslich ältere und schwächere Einzelhengste. Für diese – und nur für diese – Lebensumstände sind entsprechende Verhaltensweisen beim Pferd genetisch fixiert: Die „Programmierung“ unserer Pferde enthält alles, was es zum Zusammenleben in diesen Konstellationen braucht, wobei diese Basis im Laufe des Lebens durch individuelle Erfahrungen erweitert und variiert wird.

Die Sache mit der Rangordnung

Die sozialen Beziehungen innerhalb einer Herde werden, wie wir wissen, auch von einer Rangordnung bestimmt. Damit entsteht eine gewisse Hierarchie, allerdings keine Hackordnung, bei der nach oben gebuckelt und nach unten getreten wird. Ganz im Gegenteil – die innere Ordnung einer Pferdeherde erlaubt intensive freundschaftliche und familiäre Beziehungen über alle Ränge hinweg. Der Hengst spielt mit seinen Fohlen, in der Junggesellenherde spielt eigentlich jeder mit jedem, in der Familiengruppe bleiben Stuten und Nachkommen oft ein Leben lang einander zugetan.

Innerhalb der Familienherde gibt es zwei vierbeinige Persönlichkeiten mit besonders viel Verantwortung. Die Leitstute, eine erfahrene, ältere Stute, führt die Herde an. Sie kennt die Wasserplätze, die besten Futtergründe, sichere Rückzugsorte, gibt das Signal zum Aufbruch und führt die Herde ruhig und gelassen an. Der Hengst hat zwar im Vergleich nicht viel zu melden (was viele Pferdelaien überrascht), aber trotzdem wichtige Aufgaben: Er sorgt für Nachwuchs, hält die Herde zusammen und verteidigt sie, vor allem gegen Konkurrenten, die ihm „seine“ Stuten wegnehmen wollen.

Fohlen übernehmen zunächst den Rang ihrer Mutter. Mit der Zeit können sie innerhalb der Herde auf- oder absteigen. Der Rang bestimmt darüber, wer wem ausweichen muss, die Rangordnung wird akzeptiert oder mit unauffälligen Gesten durchgesetzt. Körperliche Auseinandersetzungen sind eher eine Seltenheit, da Herden als gewachsene Strukturen nur wenige Störungen erfahren. Zudem ist es aus Pferdesicht nicht so wichtig, wo man in der Rangordnung steht, und nicht einmal erstrebenswert, eine Herde anzuführen: die ganze Verantwortung, die damit verbundenen Gefahren …

Freundschaften knüpfen und pflegen

Pferdefreunde unternehmen vieles gemein-sam: Sie spielen miteinander, pflegen sich gegenseitig das Fell, dösen oder schlafen mit Körperkontakt, fressen nebeneinander. Gemeinsames Spielen ist innerhalb der Herde ein wichtiges Instrument des sozialen Austauschs. Beim Spiel unterscheiden sich die Geschlechter und Altersstufen deutlich voneinander: Stuten wie Hengste oder Wallache mögen Laufspiele und rennen gern mal scheinbar anlasslos wie wild umher. Männliche Tiere finden sich zudem zu zweit zu Raufspielen, bei denen sie einander umkreisen, ansteigen, kneifen und über kurze Strecken verfolgen. Diese Kampfspiele ähneln den Auseinandersetzungen von Haremshengsten mit Herausforderern, die allerdings sehr intensiv und vehement ablaufen und durchaus zu ernsthaften Verletzungen führen können, was im Spiel nur selten und nur aus Versehen geschieht.

Gegenseitiges Kraulen – auch schon im Fohlenalter ein wichtiges Anzeichen von Freundschaft! Die soziale Fellpflege zwischen Pferden, die einander gut leiden können, und die gegenseitige Fürsorge sind innerhalb der Herde sehr wichtig und verbinden die Mitglieder über alle Rangunterschiede hinweg, ebenso wie das gemeinsame Spiel.

Auch beim Fressen oder Ruhen wird die Nähe des besten Freundes, der liebsten Freundin gesucht. Im Raum hält die Herde stets recht engen Kontakt, ob in der freien Natur oder in menschlicher Obhut. Die Gruppe bleibt beisammen, niemand unternimmt allein einen Ausflug in die Umgebung – zu gefährlich für ein potenzielles Beutetier! Vielmehr behält man einander im Auge und achtet auf Signale, mit denen ein Herdenmitglied vor Gefahren warnt. So wird die Herde zu einer Einheit, die gemeinsam fürs Überleben sorgt.

Ich kann dich echt nicht leiden!

Wie Sympathien sind auch Antipathien zu beobachten. Ursache können einfach persönliche Abneigungen sein, aber auch ein Streit um Ressourcen. „Geh weg, du bist blöd!“ kommt ebenso vor wie „Hey, verzieh dich, das Gras hier gehört mir!“. Mal werden die Ohren drohend angelegt, mal wird in Richtung des Unsympathen in die Luft gebissen, aber auch die Hinterhand drohend zugewandt und im Ernstfall ausgetreten – meist reichen Gesten, nur im Ernstfall wird man handgreiflich beziehungsweise „hufgreiflich“ oder setzt die Zähne ein. Für Pferdefreunde wichtig: Bei Antipathien oder sehr unterschiedlichem Rang muss dem unterlegenen unerwünschten Pferd ein Ausweichen, eine Flucht möglich sein – ist dies nicht gewährleistet, kann es zu Kämpfen und dann auch zu ernsten Verletzungen kommen. Zwei Pferde nach Belieben vergesellschaften mit der Aufforderung „Nun vertragt euch auch schön!“ und sie dann sich selbst überlassen mit der Erwartung, die beiden würden sich über kurz oder lang schon zusammenraufen, ist deshalb keine gute Idee.

 

Freunde auf zwei und vier Beinen

Auch zwischen Pferd und Mensch ist echte Freundschaft möglich, allerdings mit gewissen Einschränkungen, die sich ganz grundsätzlich auf das Miteinander beziehen. Der Zweibeiner tut gut daran, sich nicht nur aus rein ethischen Erwägungen auf keinen Fall auf körperliche Auseinandersetzungen einzulassen – eskaliert die Situation, wird es sehr gefährlich. Besser ist es, sich für das eigene Auftreten souveräne Führungspersönlichkeiten und deren trotz aller Dominanz zurückhaltendes Verhalten zum Vorbild zu nehmen. Gesten oder ein kurzes Wegschicken, Zurückweisen reichen dann aus, um angemessen auf ungehöriges Verhalten des Pferdes zu reagieren. Was Begrüssungen und das Knüpfen und Vertiefen freundschaftlicher Bande angeht, sollten wir uns durchaus am Pferdeverhalten orientieren, da wir dann auch verständlich agieren: An der Nase herumgefummelt zu bekommen ist für das Pferd eher unangenehm, Klatschen auf den Hals unverständlich, selbst ein Stimmlob anfangs bedeutungslos. Gut nachvollziehen kann es ein Kraulen und Krabbeln, da dies an der sozialen Fellpflege anknüpft, verstehen wird es ein „Gut gemacht“ vor allem, wenn wir es zunächst mit einem Freundschaftsbeweis verknüpfen, bis das Pferd dessen Bedeutung auf das Stimmlob übertragen konnte. Immer sollten wir uns der grossen Bedeutung innerartlicher sozialer Kontakte bewusst sein und dafür sorgen, dass all unsere Pferde mit sympathischen Artgenossen Freundschaft schliessen können – die Freundschaftsbande mit uns Pferdefreunden können dies nie ersetzen, sind aber sicher ein erwünschtes „Sahnehäubchen“ …