Radikalkur für die Corvette

Dynamisch macht der Corvette kaum ein anderer Sportwagen etwas vor. (Bild: Jürg Wick)
Dynamisch macht der Corvette kaum ein anderer Sportwagen etwas vor. (Bild: Jürg Wick)
Die Corvette C8, die 8. Generation des legendären US-Sportwagens, wurde seit 1953 erstmals völlig umgekrempelt. Ist es noch eine richtige Corvette?

Mit der Corvette C7 war das Konzept am Anschlag. In der Beschleunigung konnte sie mangels Traktion nicht mehr mit den jüngsten Ferraris und Lamborghinis mithalten. So kam es zur Radikalkur mit Mittelmotor, obwohl die Auslegung – rein zweitüriges Coupé und Roadster mit Hinterradantrieb – die gleiche geblieben ist. Optisch fällt insbesondere die erheblich kürzere vordere Haube auf. Uneingeweihte sehen da eher einen mittelmotorigen Ferrari auf sie zukommen. Die Italiener sind aber mehr als doppelt so teuer und fahren dem Chevy trotzdem nicht mehr davon. Die Kolben dieses archaischen OHV-Triebwerks mit Stösselstanden und Kipphebeln schaffen übrigens bei Nenndrehzahl (6.450/min) 19,2 Meter pro Sekunde, während derer sie jedes Mal am oberen und unteren Totpunkt eine Nano-Pause einlegen.

Der Umstellung fiel die manuelle Schaltung zum Opfer, auch dadurch kann man einige Zehntelsekunden im Standardsprint gewinnen. Verloren ging ebenfalls der typische V8-Sound mit dem bösen Grollen. Stattdessen ist es jetzt ein eher metallerotisches Gekreische, das aber nur mit Drehzahl in Erscheinung tritt. So fehlt der Neuen etwas vom lange gepflegten wilden Charakter.

Balance

Die C8 entschädigt mit einer wunderbaren Balance von 50 : 50; der Pilot sitzt exakt über dem Schwerpunkt. Ergo kein drohendes Auskeilen mehr; um sie zu einem gewissen Winkel entgegen der Fahrtrichtung zu bringen, muss man richtig kämpfen.

Perfektion wurde angestrebt, herausgekommen ist ein Streber, der schnellere Zeiten ermöglicht und den Piloten weniger herausfordert.

Das oben und unten abgeflachte Lenkrad kann irritieren, nicht schlimm, aber auch nicht nötig. Und es werden derart viele Möglichkeiten serviert, situativ passende Einstellungen zu wählen, dass man es besser sein lässt. Das Ablenkungspotenzial ist riesig, der Tasten zu viele. Was man beim Parkieren quer zur Fahrbahn beachten sollte: Die imposante und einigermassen intuitiv bedienbare Schalterleiste zwischen den Sitzen macht das Rübersteigen auf die andere Seite praktisch unmöglich.

Die Corvette federt erträglich, im Konkurrenzvergleich sogar gut. Schlechte Sicht nach hinten mit der doppelten Verglasung, man sieht im Spiegel fast nichts, nach hinten rechts nullo. Beim Einbiegen nach links kann der Blindspot-Assistent nicht helfen.

Cabrio

Das gezeigte Auto ist ein Coupé mit serienmässig abnehmbarem Dach, das im tiefen und schmalen hinteren Kofferraum Platz findet, vorn gibt’s einen zweiten Raum für Sporttaschen. Die Dachabnahme- und Montageprozedur lässt sich von einer Person erledigen, zu zweit sieht das Handling aber eleganter aus.

Geboren wurde die Corvette als reines Cabrio 1953, und als solches kann man auch die seit 2020 in den USA erhältliche C8 ordern. Kostenpunkt: 115.900,– Franken. Coupé oder Cabrio: Man handelt sich mit der Corvette ein Auto mit der überraschenden Eigenschaft ein, dass es überhaupt nicht drückt. Will sagen: Man fährt in die Autobahneinfahrt ein, lotet den Grip aus und gibt richtig Gas. Das war dann eine echte Gaudi, und auf der Bahn fällt es auch überhaupt nicht schwer, die 120 km/h einzuhalten. Man kann das Ziel auch auf der rechten Spur mit 100 km/h cruisend avisieren, ohne Fahrgenuss zu missen. Was dann bleibt (auch mit erlaubten 120), ist ein Verbrauch unter zehn Litern. Locker die Kilometer abgespult, leuchtet diskret ein grünes „V4“ im Instrumentarium. Die Zylinderabschaltung funktioniert absolut perfekt, ohne dass man etwas spürt: Die meiste Zeit fährt man abseits einer Rennstrecke einen 3,1-Liter-V4- statt 6,2-Liter-V8-Motor.

Die eingangs gestellte Frage, ob die aktuelle Ausgabe noch eine echte Corvette sei, lässt sich klar so beantworten: jein.