Andy Martin

Andy Martin

Nächster Halt – Basel-Landschaft

Den Kantönligeist wollen wir gar nicht erst aufkommen lassen – meist spielte er kaum eine Rolle in der Geschichte der helvetischen Country-Musik; Schweiz ist Schweiz, und bei vielen unserer Protagonisten war die Region während ihrer Laufbahn ohnehin nicht in Stein gemeisselt. Noch nicht mal der Musikstil war bei einem der erfolgreichsten Szenenvertreter am Anfang in Stein gemeisselt. Der sympathische Barde heisst Andy Martin, begann vor 45 Jahren im Bernbiet mit Tanzmusik, spielt natürlich noch immer tanzbare Musik, lebt heute im Baselland und ist längst zu einem der beliebtesten Country-Stars hierzulande geworden.

Seine Karriere verdanken wir dem Zufall; ein Freund von Andy Martin gründete 1975 eine Tanzband und suchte einen Bassisten. Nach einigem Zögern sagte Andy zu, hörte im Radio und auf Musikkassetten dem Tieftöner genau zu und übte die Bassläufe einiger Songs. Die Karriere als Bassmann endete ziemlich schnell; als Andy zehn Songs spielen konnte, gab’s diese Formation bereits nicht mehr. Das Schicksal hatte für Andy Martin andere Pläne – und gab ihm schon mal eine gehörige Portion Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit mit auf den Weg. Andy stellte selbst eine Band zusammen und übernahm die Aufgaben des Gitarristen und Sängers. Silver Birds nannte er die Truppe, mit der er ungefähr eineinhalb Jahre in der Region Thun unterwegs war. Es folgten weitere Projekte, noch immer in der Tanzmusikszene; die Bands Timeless und anschliessend die Calimeros. Mit den Calimeros war Andy immerhin elf Jahre unterwegs und feierte bereits grosse Erfolge. Hier begann im Grunde seine Karriere als Songschreiber; einige Dutzend Martin-Songs fanden damals ihren Weg auf die Alben verschiedener Künstler, und mehrere dieser Tonträger verkauften sich derart gut, dass sie sogar Gold- und Platinauszeichnungen einheimsten. In diesen Anfangszeiten spielte Andy zwar offiziell noch Tanzmusik, schmuggelte aber mehr oder weniger unbewusst bereits etliche Country-Songs ins Repertoire – Beautiful Body, Let Your Love Flow, Rhinestone Cowboy, On The Road Again, Lucille, Country Roads, um nur einige zu nennen.

Das bewusste und definitive Bekenntnis zur Country-Liebe sollte schon bald kommen – Mitte der 80er-Jahre auf mehreren USA-Reisen. Der damalige Calimeros-Produzent Köbi Baumgartner ermutigte den Country-Novizen zu einem Soloalbum. Andy überlegte nicht lange, schrieb einige Songs, buchte ein Studio in Bern, engagierte Musiker (u. a. die im Jahre 2000 verstorbene Pedal-Steel-Legende Helmut Schöni) und veröffentlichte 1987 sein erstes eigenes Album „Loving’s Easy“ (Activ Records). Auf diesen Startschuss folgte gleich noch die Gründung seiner ersten  Country-Band – die sagenumwobene Andy Martin & The Valley Band, in der Urbesetzung mit Marcel Burfeindt (Bass), Marcel Schnyder (Schlagzeug), Arnold Zobrist (Pedal-Steel, Banjo) und Beat Lutz (Akustikgitarre). Kein Senkrechtstart; der „Schlagertyp“ wurde in der nicht immer ganz so offenen Szene erst mal etwas belächelt. Es gab jedoch vier wichtige Personen, die von Anfang an Andys Talent, Willen und Zielstrebigkeit erkannten und ihn mit guten Tipps förderten: Chuck Steiner (das Urgestein), John Brack (Mr Country), Jürg Oswald (Tonstudiobetreiber, Pedal-Steeler, Gitarrist und Mitproduzent der ersten USA-Alben) und Mike Parkin (Moderator Radio BeO) – alle vier leider nicht mehr unter uns. Diese Unterstützung war äusserst wertvoll und soll uns in Erinnerung rufen, wie wichtig es ist, Wissen und Inspiration freizügig weiterzugeben. Bei Andy fiel das alles auf fruchtbaren Boden; er ist dem damals eingeschlagenen Weg bis heute treu geblieben und hat seine Identität als Traditional-Country- & Honkytonk-Künstler gefunden.

Der Karrierezug nahm schnell Fahrt auf, es folgten zwei weitere Alben: „Honky Tonk Motel“ (1989) und „Way Down South“ (1991), beide noch immer mit den Musikern seiner Schweizer Band aufgenommen. Mitte der 90er-Jahre dann der Konzeptwechsel: Andy reiste erstmals nach Nashville, um dort mit US-Studiomusikern eine Platte einzuspielen – das Album „Paint Me Blue“, welches 1996 von der Plattenfirma Koch International veröffentlicht wurde. Der Startschuss zu Martins internationaler Karriere sozusagen, denn seine Songs wurden nun plötzlich in Skandinavien, Japan und Australien im Radio gespielt und brachten ihm mehrere Chart-Platzierungen sowie Award-Nominierungen ein. Der Erfolg bestätigte sein Konzept, und so reiste Andy für die Nachfolgeplatten („Where I’m Coming From“ 1998 und „Talking Teardrops“ 2001) erneut in die US-Country-Hauptstadt, wo er dank mittlerweile guten Kontakten zu Songschreibern und Verlagen sehr gute Songs erhielt – von Leuten wie Dean Dillon, Jim Lauderdale, Dean Miller, Al Anderson, Will Nance oder Jeff Tweel. Wieder zu Hause, ging der Schweizer Barde mit seinen einheimischen Musikern jeweils fleissig auf die Bühne; bereits ab 1995 hatte es begonnen, auch internationale Auftritte in seinen Tourplan zu schneien (Dänemark, Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Japan). Der Turbo hatte gezündet, die ersten Awards trudelten ein von Organisationen wie den ECMA oder DCMA, und 2001 nahm er sein bisher einziges Weihnachtsalbum „Country Christmas“ auf (Hear We Go Records).

Andy Martin entwickelte sich zum Hard Workin’ Man und spielte für das legendäre Turicaphon-Label Country Elite Special fünf weitere Alben ein – „Country Jukebox Vol.1“ (2003), „More …“ (2005), „Honky Tonk Downstairs“ (2007), „Eleven“ (2010) und „Lost Highway“ (2012). Andy ist seither Stammgast in den weltweiten Country-Radiostationen, wurde mit Charterfolgen und Awards verwöhnt und ist bei Festivals im In- und Ausland sehr gefragt. Natürlich, Nashville und der allgemeine Country-Zeitgeist haben sich mittlerweile verändert, doch Martin blieb seinem Konzept und seiner Real Country Music schon beinahe trotzig treu. Er setzte in den vergangenen Jahren weiterhin auf CD-Produktionen („The Real Thing“ 2014, „Ashes In The Wind“ 2017, „Honky Tonks Are Calling Me Again“ 2018), während sich einige seiner Kollegen bereits davon distanzierten. Dank seiner vielen Auftritte verkauft Andy noch immer relativ viele Platten, und er stieg früh auch ins digitale Geschäft ein, um seine Musik auf Download-Portalen wie Amazon, iTunes oder exLibris anzubieten. Verwurzelt und dennoch offen für Neues also. Anfang 2020 erschien beim neuen Label Strawberry Records die Single You’re Still On My Mind, und vor kurzer Zeit wurde der wunderbare Song Somewhere In The Dark lanciert – ein Duett von Andy Martin mit Georgette Jones (der Tochter der beiden Country-Legenden George Jones und Tammy Wynette).
Andy ist ein Tausendsassa; neben 15 eigenen Alben wirkte er in den letzten 33 Jahren auch einige Male als Produzent (z. B. bei den beiden Platten der Swiss Highwaymen, „Swiss Highwaymen“ 2013 und „Christmas Together“ 2014), gab wertvolle Tipps weiter an junge Kollegen, veröffentlichte mehrere professionelle Videos zu seinen Songs und ist seit über zehn Jahren sogar als Radiomoderator tätig (mit seiner Sendung „Pure Country“ bei Country Radio Switzerland, jeden Samstag von 13 bis 14 Uhr). Am glücklichsten machen ihn Liveauftritte; kaum ein heimischer Musiker übrigens (ich darf mich dazuzählen), der nicht schon mal bei Gelegenheit das Vergnügen hatte, mit Andy auf der Bühne zu stehen. In der aktuellen Formation (Marcel Britt am Bass, Domenico Russo am Schlagzeug, Nino Russo an der E-Gitarre, Norbert Dengler an Pedal-Steel, Banjo und E-Gitarre) ist er auch heute noch auf jeder Country-Bühne ein sicherer Wert. Andy Martin gilt zu Recht als das perfekte Beispiel eines ruhigen, sympathischen, konzentrierten und verwurzelten Country-Künstlers. Danke für Dein bisheriges Lebenswerk, Andy; wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg, Inspiration und Gesundheit.