Vielleicht ist Ihnen das auch schon passiert: Sie sind draussen unterwegs, auf einer Wanderung, einem Spaziergang, und da kommt Ihnen auf einmal jemand entgegen, der sich in Begleitung eines netten Vierbeiners ebenfalls an der Natur erfreut. Zu Fuss, so wie Sie. Aber anders als erwartet hängt am anderen Ende der Leine kein netter Hund, sondern ein freundliches Pferd. Spazieren gehen mit Pferd – geht das denn überhaupt? Und wozu soll das gut sein? Pferde sind doch dazu da, geritten zu werden – ist das nicht ein bisschen albern, mit ihnen spazieren zu gehen?
Bei Fuss gehen auf Pferdeart
Der klassische Begleiter für Spaziergänge ist sicher der Hund, doch immer mehr Menschen entdecken, dass sich auch andere Vierbeiner hervorragend als Begleiter eignen. So manche Stubenkatze etwa wird mit Leine und Geschirr ausgerüstet, vorsichtig und verständnisvoll angelernt und mit der Zeit zum kompetenten Spaziergänger. Auch viele Pferde kommen in den Genuss gemeinsamer Spaziergänge, und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Für alle vierbeinigen Spaziergänger gelten im Grunde dieselben Regeln und Voraussetzungen: Sie müssen sich draussen sicher und angstfrei bewegen können, damit sie vom Gassigehen profitieren und niemanden in Gefahr bringen. Das verlangt nach einer sorgfältigen Ausbildung, die natürlich auch tierartspezifisch abläuft. So ist es üblich, Hunde mit gutem Rückruf durchaus abzuleinen, solange die Umstände dies gestatten – bei einem Pferd ist dies nicht möglich. Trotzdem können sich Pferde zu sehr angenehmen Begleitern entwickeln, mit denen gemeinsame Spaziergänge richtig Spass machen.
Spaziergang mit Pferd – warum?
Pferde rechnet man zum „Fernwanderwild“. Es liegt in ihren Genen, ständig unterwegs zu sein, mit den Jahreszeiten die Weidegründe zu wechseln. Dabei werden weite Strecken zurückgelegt, immer gemeinsam in der Herde, geruhsam einen Schritt vor den anderen setzend. Dieser pferdetypischen Art der Bewegung wird durch moderne Haltungssysteme und Trainingsformen oft nicht einmal annähernd entsprochen – aber gemeinsame Spaziergänge können solche Defizite zumindest teilweise abfangen. Wer also zusammen mit dem Pferd draussen zu Fuss unterwegs ist, ermöglicht seinem vierbeinigen Begleiter damit auch, ein angeborenes und deshalb unveränderliches Bedürfnis zu befriedigen.
Es gibt aber noch mehr gute Gründe: Manchmal ist es einfach zu kalt im Sattel. Der Untergrund ist so verschlammt, verschneit, gefroren oder vereist, dass Ausritte nur noch im Schritt möglich sind. Der Reiter sitzt dabei fast unbeweglich im Sattel, während ihm der eiskalte Winterwind um die Nase pfeift und langsam, aber sicher Finger und Zehen einfrieren. Da bietet es sich an, sich an der Seite des Pferdes Bewegung zu verschaffen – es wird einem schnell warm, und sicherer ist es bei den oft prekären Wegverhältnissen auch!
Manchmal hat es gesundheitliche Gründe, warum Pferde nicht oder nicht mehr geritten werden können. Müssen langwierige Verletzungen auskuriert werden, erholt das Pferd sich nach einer Operation oder kämpft es mit einer chronischen Erkrankung, so lautet die Anweisung des Tierarztes oft: Bewegung ohne Belastung! Häufig hilft Bewegung dem Pferd dabei, schneller wieder gesund zu werden und zu Kräften zu kommen, es darf aber nicht zu viel sein. Mit „Belastung“ ist zum einen die Intensität des Trainings gemeint, sodass etwa schnellere Gangarten oder bestimmte Leistungsspitzen wie etwa das Springen für eine Zeit ausgeklammert werden müssen. „Belastung“ deutet aber auch auf den Reiter, der samt Sattel den Rücken des Pferdes mit etlichen Kilos beschwert.
Sehr junge und sehr alte Pferde können oft noch nicht oder dürfen nicht mehr geritten werden, brauchen aber Bewegung und Beschäftigung, damit Körper und Geist gefordert werden. Auch diese Pferde profitieren von gemeinsamen Spaziergängen.
Spaziergänge mit Spass und Abwechslung
Wer mag und darf, kann dabei auch kleine alters- und ausbildungsgerechte Aufgaben einbauen, etwa ein wenig Schlagreisig überwinden, über einen kleinen Baumstamm klettern, ein Bachbett durchqueren oder Abhänge hinauf- und hinuntergehen. Auch viele Lektionen aus dem grossen Feld der Bodenarbeit können eingebaut werden: Schulterherein, Schenkelweichen, Rückwärtsrichten, Vorhand- und Hinterhandwendungen, Volten, Schlangenlinien, aber auch einfaches Anhalten und Losgehen – hier wird ganz stressfrei etwas für die Beweglichkeit des Pferdes und die Feinabstimmung zwischen Mensch und Pferd getan. Geschickt können selbst einfachste Geländestrukturen eingebaut werden, indem man das Pferd vom Asphalt auf den grasigen Wegrand und zurück wechseln lässt, es quer oder schräg über tiefe Fahrrinnen oder Bürgersteigkanten führt, in Schlangenlinien vorwärts oder rückwärts um Baumreihen geht.
Begegnungen auch der unheimlichen Art werden aktiv aufgesucht und bringen noch mehr Würze in den Spaziergang. Bellende Hunde, lärmende Landmaschinen, flatternde Kulturfolien und andere Monster machen den Spaziergang interessanter und gewöhnen das Pferd ohne Druck und Angst an diese Reize. Oft sind Pferde wesentlich gelassener, wenn sie den Menschen an ihrer Seite wissen – es entspricht ihrer genetischen Ausstattung mehr, da ja in der Pferdeherde das Leittier mutig und erfahren die Führung übernimmt.
Geht Dein Pferd bei Fuss?
Voraussetzung ist natürlich, dass sich das Pferd beim Spaziergang als wohlerzogener und angenehmer Begleiter zeigt. Dazu gehört, sich ohne Korrektur an der Seite oder leicht versetzt hinter dem Menschen zu halten, dabei etwas Abstand einzunehmen, auf alle Anweisungen des Zweibeiners prompt zu reagieren und dieses Verhalten auch in unbekannten oder unheimlichen Situationen beizubehalten: wenn am Horizont Spaziergänger mit Regenschirmen auftauchen, man an einer Weide mit Rindern oder Schafen vorbeikommt, sich von hinten ein Traktor nähert, im Wald die Motorsägen lärmen. Es ist Sache des Menschen, sein Pferd angstfrei mit immer neuen Reizen bekannt zu machen und dafür zu sorgen, dass es Vertrauen entwickelt – in die Situation, in sich selbst, in sein „Leittier“ auf zwei Beinen. Das Pferd ist eben ein Fluchttier, und das müssen wir Menschen respektieren. Deshalb gehen wir langsam vor, gewöhnen unser Pferd Schritt für Schritt an die Herausforderungen des Geländes und loben es für kleinste Erfolge.
Wichtig ist die passende Ausrüstung: Der Mensch ist immer mit Handschuhen und festem Schuhwerk ausgestattet. Das Pferd trägt Halfter und einen langen Führstrick. Sehr temperamentvolle, noch sehr unerfahrene oder unsichere Pferde sollten mit Kappzaum und Longe ausgerüstet werden, was einen längeren „Bremsweg“ und mehr Einfluss erlaubt, wenn es doch mal brenzlig wird, ohne dabei hart einwirken zu müssen.
Mit etwas Übung geht es dann bald entspannt gemeinsam raus, um Seite an Seite die Schönheit der Natur zu geniessen und die spannende Umwelt zu erobern!