Alles begann am 16. August 1962 in Winterthur, als der kleine Hanspeter auf die Welt kam. In jenem Sommer war Chuck Berrys Memphis Tennessee auf dem Weg, ein Hit zu werden, und The Crystals brachten in diesem August ihren Hit He’s A Rebel heraus. Zufälle, Sterne oder Schicksal? Die Gefühle der überglücklichen Mutter im Wochenbett traf Dusty Springfield mit I Only Wanna Be With You damals wahrscheinlich am besten. Oder allenfalls Carole Kings Stimmungs- und Wetterlage It Might As Well Rain Until September. So jedenfalls Klang es in jenen Sommertagen 1962.
Die Anfänge einer Leidenschaft
Weder Zufall, Schicksal noch Aszendent waren vermutlich im Spiel, als der zehnjährige Hämpi Anfang der 1970er-Jahre Elvis Presley entdeckte, der fortan sein Leben ein gutes Stück prägen sollte. Wer das relative Pech einer späten Geburt hatte und die Anfänge des Rock’n’Roll ab Mitte der 50er-Jahre selbst nicht hautnah miterleben konnte, dem bot Elvis später immer mal wieder gute Einstiegsmöglichkeiten. Wohl nicht zuletzt mit dem im Sommer 1969 erschienenen Album „From Elvis In Memphis“, das ein stilistisches Comeback des „Kings“ markierte. In der Zeit zwischen 1964 und 1968 hatte er nur Soundtrack-Alben zu seinen populären Filmen herausgebracht, die über die Zeit immer weniger Anklang gefunden hatten, weil sie reiner Kommerz waren. Das änderte sich aber mit den grossen Hits jenes „Comeback“-Albums. Suspicious Minds oder In The Ghetto eroberten die Charts und wurden im Radio wieder rauf und runter gespielt. Das blieb wohl auch dem Knirps aus Winterthur nicht verborgen.
Seine Begeisterung für Elvis schlug sich dann im etwas fortgeschritteneren Teenageralter auch in seinem Äusseren nieder. Rock’n’Roll ist ja nicht nur Musik – er ist eine Lebensart, manchmal sogar Lebensinhalt. Das Unbändige, Widerspenstige, ja Revolutionäre, das ihm innewohnt und schon früh durch Leinwandhelden wie Marlon Brando in „The Wild One“ (1953) und danach insbesondere durch James Dean, den tragischen „Rebel Without A Cause“ (1955), eindrücklich und populär verkörpert wurde, bildete die damalige Jugendkultur nicht nur ab, sondern beeinflusste und prägte sie auch stark. Diese Bilder hatten selbst in den 1970er-Jahren durchaus noch ihren Reiz, wenngleich längst nicht mehr so verbreitet wie einst. Hämpi Rufs Haare wurden dennoch mit nicht geringem morgendlichem Aufwand täglich in jene Form gebracht, die ihn noch heute unverkennbar macht: „Ich ging nie ohne meine Frisur aus dem Haus.“ Auch wenn das nicht allen passte – nicht zuletzt dem Lehrmeister. Im Zürcher Niederdorf konnte man ab 1976 im Booster, einem zwei Schaufenster breiten Laden, der heute noch existiert, Klamotten, Schuhwerk und Accessoires für diesen besonderen Lebensstil finden. „In meinem Jugendzimmer standen auch ein Nierentischchen, Tulpenlampen und Radioapparate von früher.“ Weil eines der höchsten Statussymbole in jenen Kreisen – der „Ami-Schlitten“ – für den Winterthurer Teenager mit Elvis-Tolle noch weit ausser Reichweite lag, konzentrierte er sich auf das Nächstbeste: eine eigene Rock’n’Roll-Band.
Der Weg zu den Nashville Rebels
Sie hiessen The Airlines, spielten „fast schon rockig, punkig“, stammten aus demselben Wohnquartier und wollten nicht zuletzt bei den Mädchen Eindruck machen. Sie hatten sogar ihren eigenen DJ, der sich „Airport 2000“ nannte und in Konzertpausen auflegte, damit die Stimmung bei ihren Gigs die atmosphärische Flughöhe hielt. Managerin seiner ersten Band war seine Schwester Judith, die bereits den Führerschein besass und sie samt Material auch zu den Auftritten transportieren konnte. Begonnen hatte alles 1977 in einem Hühnerstall, wo Hämpi Ruf, der einen Verstärker und eine Gitarre besass, mit Urs Steiger (Bass) und Marcel Wyniger (Schlagzeug) die ersten Proben abhielt. Über die Sommerferien sollte Chubby Checkers Let’s Twist Again konzertreif eingeübt werden. Als man nach den Ferien wieder im Hühnerstall zusammenkam, war da plötzlich mit „Leslie“ Bless noch ein anderer Gitarrist auf dem Platz, und Hämpi wurde zum Sänger und Frontmann wegbefördert. 1978 feierte das Rock’n’Roll-Lebensgefühl der 50er- und frühen 60er-Jahre eine populäre Wiedergeburt dank des Kinos. Mit John Travolta und Olivia Newton-John in den Hauptrollen wurde die Verfilmung des Musicals „Grease“ ein Welthit, und auch die israelische Produktion „Eis am Stiel“ wurde im selben Jahr ein Kinokassenschlager mit acht Fortsetzungen. Soundtrack-Klassiker wie Bill Haleys Rock Around The Clock, At The Hop von Danny & The Juniors oder Big Boppers Chantilly Lace brachten von neuem junge Leute zum Hüpfen und Springen. Zumindest jene, die immun waren gegen das „Saturday Night Fever“ in der Disco, das ebenfalls Travolta ein Jahr zuvor so richtig entfacht hatte. Oder auch die, die mit Sicherheitsnadeln an den unmöglichsten Körperstellen, grellbunt eingefärbter und bisweilen spitz aufragender Haartracht, Headbanging sowie auch Johnny Rottens Sex Pistols nichts anfangen konnten. Hämpi Ruf konnte Travolta nicht ausstehen, weil nicht wenige begannen, seinesgleichen der Frisur wegen als „Travolta“ zu bezeichnen. Was nicht als Lob runterging. Aber der Nachfrage nach Auftritten seiner Band half dieser unerwartete Boom indirekt natürlich schon auch. Auf dem Höhepunkt rockten und rollten The Airlines sogar das volle Winterthurer Volkshaus beim legendären „Monsterball“.
Nach dem ersten Höhenflug in corpore wurde er anschliessend zum Alleinunterhalter „Hillbilly Hämpi“. In Restaurants, bei kleineren Anlässen oder privat bei Geburtstagsfeiern unterhielt er die Gäste mit Witzen, Spässen und Musik. „Ich machte damals wohl mehr Witze als Musik“, schätzt er heute rückblickend. Als dann Gitarrist Andi Billwiller dazustiess, stiegen der Musikanteil und der Rahmen der Auftritte bis hin zu Dorffesten. Weil der Name Hillbilly Hämpi das Duo zu einseitig abbildete, einigte man sich auf Einsprache Billwillers hin auf eine Namensanpassung. Aus den damaligen musikalischen Vorlieben der beiden – Billwillers Leidenschaft für rebellischen Rock’n’Roll und Rufs Faible für Country-Musik – wurde die Erstausgabe der Nashville Rebels. 1991 wurde dann eine richtige Band daraus, als Michael Ehrismann (Bass) und Schlagzeuger Marco Benvegnù Andi und Hämpi ergänzten. Sein Interesse an Country-Musik war ursprünglich Anfang der 1980er-Jahre durch Emmylou Harris und Dolly Parton geweckt worden. George Strait schürte es weiter, und als ab Mitte des Jahrzehnts Dwight Yoakam mit seinem Debütalbum „Guitars, Cadillacs Etc. Etc.“ und Steve Earle mit „Guitar Town“ begannen, Country mit Rock’n’Roll-Elementen neuen Schwung zu verleihen, traf das beim grossen Elvis-Fan mehr als nur einen Nerv, war das doch genau das, was der „King“ auch oft gemacht hatte. Das war der Sound, der ihn berührte. Entgegen dem Publikumsgeschmack eingefleischter hiesiger Country-Fans, die „reine“ Country- oder Rock’n’Roll-Klänge in separater Form bevorzugten, vermengten die Nashville Rebels die Stile ungeniert bei ihren Auftritten und kommen damit bis heute an: „Wir haben quasi einen Freipass zum Mischen.“ Anders als etwa Yoakam und Earle bei ihren Auftritten in der Zuger Hertihalle im Juni 1987, wo „die Leute reihenweise die Halle verliessen“, wie er sich noch gut, aber verständnislos erinnert.
Das Memphis-Projekt
2017 auf einer Motorradtour durch halb Amerika waren auch Nashville und Memphis Etappenorte. In Memphis stand natürlich auch ein Besuch des legendären Sun Studios auf dem Programm. Danach sagte er zu seiner Lebenspartnerin Paloma Szathmáry: „Da möchte ich einmal aufnehmen.“
Weil Paloma gern Nägel mit Köpfen macht, hatte sie auch schon kurz nach der Rückkehr bereits einen Plan: „Ich bekam eine To-do-Liste vorgelegt, was ich zur Vorbereitung alles machen müsse, darunter Englischkurs, Gesangsunterricht und dass ich bis Ende des Jahres zehn Lieder schreiben solle, damit man die konkrete Realisierung dieses Wunschtraums in Angriff nehmen könne“, erinnert er sich noch gut.
Materielles Ziel war, im Sun Studio ein Album aufzunehmen, das dann als Vinylplatte erscheinen würde. Rein künstlerisch und emotional wollte Hämpi Ruf ein Album und ein unvergessliches Erlebnis schaffen. „Es war wie im Film. Dort zu stehen, wo einst Elvis stand …“ In gemeinsamen Sessions, also mit allen Musikern gleichzeitig an ihren Instrumenten und hinter ihren Mikrofonen, entstanden an geschichtsträchtiger Stelle Aufnahmen wie in den Tagen, als es Elvis, Cash, Perkins, Orbison et al. dort auch praktisch genauso machten. Des Weiteren gehörte zum Plan ein Crowdfunding, das die finanzielle Tragbarkeit des Unterfanges erleichtern sollte. Als Gegenwert winkte den Unterstützern ein im Sun Studio signiertes, nummeriertes Exemplar aus einer auf 100 Stück limitierten Serie dieser Produktion. Total würden 1.000 Stück gepresst. Die Crowdfunding-Aktion entlastete die Kostenseite um rund ein Drittel.
Man konnte Nashville-Musiker und -Produzent Chuck Mead (BR5-49), den man bei früherer Gelegenheit kennengelernt hatte, als Produzent und Arrangeur gewinnen, und nach dem Überwinden einiger Hindernisse, welche die neue Corona-Realität mit sich brachte, bestiegen Schlagzeuger Pete Bischofberger, Gitarrist Mike Haller, Hämpi Ruf und Paloma Szathmáry am 24. September 2021 in Kloten den Flieger: Memphis, here we come.
Drüben hatte Chuck Mead in der Zwischenzeit die Musiker Mark Andrew Miller (Bass) und Gerald Stephens (Klavier) angeheuert, womit die sechsköpfige Besetzung für die Sun-Studio-Sessions der drei Kern-Nashville-Rebels vollständig war. Am 27. September, abends, ging es los, und am 29. September 2021, nach der letzten von drei Abendsessions, waren die acht neuen Originalsongs und das Cover von Bill Monroes und Lester Flatts Little Cabin On The Hill im Kasten. Auf der Website der Nashville Rebels (www.nashvillerebels.ch) findet man ein audiovisuelles Tagebuch zu ihrem Memphis-Abenteuer.
What’s next
Wenn alles glatt geht – was in diesen Zeiten nicht immer ganz absehbar ist –, findet am 29. April 2022 in Zürich eine grosse Party statt, bei der das 30-jährige Jubiläum und das Erscheinen einer ganz besonderen Plattenproduktion ausgiebig gefeiert werden können. Auf der Website und den Social-Media-Kanälen der Band findet man dazu immer die neusten Updates. Stay tuned.
„Ich ging nie ohne meine Frisur aus dem Haus.“
(Country Style-Interview, Februar 2022)