Big STONE

Bluegrass Beans

Nächster Halt: Zürcher Unterland

In der letzten Ausgabe hatte ich das Vergnügen, über eine wunderbare, dem Bluegrass nahestehende Schweizer Band berichten zu können – die Blue Valley Drifters. Weil ich mir durchaus vorstellen könnte, in einem allfälligen nächsten Leben gern auch ein Bluegrass- oder Cajun-Musiker zu sein – was aber glücklicherweise und Gott sei Dank noch kein Thema ist – bleibe ich erst einmal weiterhin stiller Bewunderer dieser Spielarten. Nachfolgend blicke ich hier aber gern noch einen Schritt weiter zurück in der Musikgeschichte – in Richtung Steinzeit

Es gab bereits vor dem Bluegrass nämlich wunderbare Country-Musik in den USA, und die wird heute in der Regel „Old Time Music“, „Mountain Music“ oder zuweilen auch „Hillbilly“ genannt. In der Schweiz gibt es nur noch wenige Bands, die sich auf authentische Weise diesem Genre widmen – eine dieser Formationen möchte ich heute vorstellen, sie nennt sich Big STONE.

Nun, bevor wir Big STONE näher kennenlernen, sollten wir vielleicht kurz einen Blick auf die wunderbare Old-Time-Musik im Allgemeinen werfen – die eingefleischten Kenner mögen mir verzeihen, wenn ich hier Binsenweisheiten wiederkäue, und die weniger gut Informierten lassen sich hoffentlich gern in die Geschichte dieser Musik (und somit die Geschichte der Country-Musik generell) einführen. Keine Angst, ich werde mich sehr kurzfassen, denn eigentlich wäre da genug Stoff für mindestens ein Buch.

Wenn man heute von Old-Time-Musik spricht, ist die traditionelle US-Folk-Musik der 1920er- und 1930er-Jahre gemeint. Der Begriff Hillbilly (Hinterwäldler, Landeier) entstand 1925, wurde in den 1930er- und 1940er-Jahren allerdings auch für Honkytonk, Country-Boogie und Bluegrass verwendet, weshalb er heute eher missverständlich ist. Und Mountain Music heisst das Ganze, weil diese Musik in einer musikhistorisch entscheidenden Phase (Anfang des 20. Jahrhunderts) vor allem im Appalachen-Gebirge stattfand (New York State, Pennsylvania, Ohio, Maryland, Virginia, West Virginia, North Carolina, South Carolina, Kentucky, Tennessee, Georgia, Alabama und Mississippi). Allerdings greift auch dies genau genommen zu kurz – Old Time ist noch deutlich älter, wurde bereits im 18. und im 19. Jahrhundert gespielt, und zwar in den gesamten Vereinigten Staaten. Es ist schlicht und einfach die Musik, die in der traditionellen Folklore europäischer Einwanderer wurzelt, vor allem in der keltischen Tradition der englischen, irischen und schottischen Einwanderer, in einigen Regionen gab es auch deutsche und französische Einflüsse (Cajun) – und vermischt wurde das Ganze von Anfang an zudem stark mit der Musikkultur der in den USA schuftenden Sklaven aus Afrika. Alle diese Traditionen verschmolzen zu einem unglaublich heissen Mix, und über lange Zeit hinweg dachte da tatsächlich noch niemand in Kategorien – lange bevor das Aufkommen des Radios die Musik der Appalachen-Gebirge in Gattungen wie Jazz, Gospel, Blues und Country zerlegte, gab es in Nordamerika eine Musik ohne Namen, die sozusagen alles vereinte. Natürlich war das rein akustische Musik; heute „String Bands“ genannt, mit Gesang, Banjo, Gitarre, Mandoline, Fiddle und Bass als Hauptinstrumente. Leidenschaftliche Spirituals und Gospel-Songs für den Geist, düstere Balladen für die Moral und wilde Tanzstücke für die samstägliche Party, den Whiskey-Spunten oder das Heiratsfest.

Nun, diese höchst authentische Musik ohne Namen interessierte das Musikbusiness vorerst keinen Deut; 1913 fand in Atlanta, Georgia erstmals die Atlanta Fiddler’s Convention statt, ein künftig sehr beliebter Wettbewerb für Banjospieler, Gitarristen und Fiddler – die aufkommende Plattenindustrie ignorierte das vollständig, genauso wie sie vorerst auch Blues und Gospel verpönte. Nicht lange allerdings, Anfang der 1920er-Jahre wurden erste Old-Time-Aufnahmen gemacht (Don Richardson, Eck Robertson, Henry Gilliland, Fiddlin’ John Carson, Wendell Hall, Henry Whitter und andere), ab 1922 kam dann auch allmählich das Radio hinzu mit live übertragenen Barndance-Shows. 1925 ging die Grand-Ole-Opry-Geschichte los mit ersten Auftritten von Hinterwäldlermusikern wie Uncle Jimmy Thompson, DeFord Bailey, Uncle Dave Macon und Dr. Humphrey Bate And His Possum Hunters. Die Old-Time-Lokomotive nahm definitiv Fahrt auf, 1925 bis 1929 gelten als „die goldenen Jahre“ dieses Stils; Gid Tanner, Riley Puckett, Charlie Poole und Posey Rorer sind Stars aus dieser Zeit, und sie wurden zum Vorbild für später aufkommende Bluegrass-Pioniere wie Earl Scruggs oder Bill Monroe. Im Sommer 1927 fanden die legendären Bristol-Recording-Sessions in Tennessee statt, unter anderem mit Jimmie Rodgers (Blue Yodel) und der Carter Family (Wildwood Flower) – der Rest ist Geschichte, von jetzt an begann die Reise dessen, was wir heute „Country“ nennen, und in den 1930er-Jahren erblickten schliesslich auch wunderbare Stilblüten wie Bluegrass, Western Swing und Honkytonk das Licht der Welt.

Soweit der auf ein absolutes Minimum reduzierte Exkurs in die Gründerzeit unserer geliebten Musik. In der Schweiz, wie gesagt, gibt es erfreulich viele Bluegrass-Bands, jedoch nur wenige, die sich explizit dem Old-Time-Stil verschreiben (wobei sich beides natürlich oft auch vermischt). Die Formation Big STONE ist eine jener raren Mountain-Music- und String-Band-Perlen; gegründet wurde sie 1998 im Raum Bülach von Geoffrey und John Gammeter, ergänzt wurde die Combo in der Folge wechselhaft durch Musiker wie Bluesharper „Tom “, Pete „Two Feathers“ Erb, Mark Gregory Turner, René Zentner, Beat Heri, Stefan Hügin und Joachim Brütsch. Die aktuelle Besetzung besteht aus Gottfried „Geoffrey“ Gammeter (Gitarre), Peter Erb (Bass), René Zentner (Banjo) und Beat Heri (Mandoline). Der Name Heri klingt natürlich in unseren Ohren – Beat Heri ist nicht nur ein alter Szenehase und leidenschaftlicher Mandolinenspieler, sondern auch amtierender Präsident der Swiss Bluegrass Music Association – und unter anderem zuständig für die Produktion einer sehr geschätzten Kollegin im Blätterwald der Country-Fachzeitschriften: des SBMA-Newsletters.

Big STONE sind nun also eine noch immer aktive, renommierte Bereicherung für die helvetische Country-Szene. Ihre Auftritte im Outfit aus der US-Pionierzeit finden grossen Anklang; sie spielen Old-Time-Musik aus den Country-„Jugendjahren“ und dazu auch Bluegrass. Die virtuose Combo aus dem Zürcher Unterland spielte nicht zufällig bereits auf diversen renommierten Bluegrass- und Country-Festivals (Internationale Country Night Gstaad, Internationale Country Night Bern, Spring Bluegrass Festival Willisau, Grunderinseli Thun, Bluegrass Family Festival, Country Festival Col-des-Roches usw.), und die meisten Insider kennen auch ihre 2006 veröffentlichte CD „Wait For The Wagon“. Das Engagement ist wirklich echt und glaubwürdig; Big-STONE-Mitglieder gründeten 2003 zusammen mit Gleichgesinnten den Verein „American Folk Club Rocking Chair“ zur Pflege und Förderung amerikanischer Folk-, Old-Time- und Bluegrass-Musik. In diesem Zusammenhang entstanden auch das traditionelle Zürcher Unterländer Old-Time-Country-Festival im Breitisaal in Winkel bei Bülach sowie die inzwischen längst legendäre Bluegrass- und Old-Time-Jamsession, die jeden zweiten Freitag im Monat im Restaurant Kaserne in Bülach (ab Juni 2023 im Restaurant Löwen in Niederglatt) stattfindet. Wir bedanken uns herzlich für dieses leidenschaftliche und kompetente Wirken – und wünschen Big STONE für die Zukunft das Allerbeste.