Blue(s) Christmas

Lachy Doley (Bild: Daniel Schmid)
Lachy Doley (Bild: Daniel Schmid)

Basel, 20. Dezember 2022

Ein Blues-Festival in die Adventszeit zu legen ist …? Eine ganz gute Idee, bedenkt man, dass die Weihnachtsgeschichte doch weitgehend dem klassische Blues-Szenario entspricht: Auf Widrigkeiten und prekäre Umstände folgt die Erlösung. Bei den Auftritten von Southern Avenue aus Memphis und dem Australier Lachy Doley in Trioformation – The Lachy Doley Group – konnte man im Volkshaus Basel Vergleiche anstellen oder sich einfach gut unterhalten und treiben lassen.

Den Auftakt machte die ursprünglich vierköpfige Formation aus einer der Blues-Hochburgen der USA, mittlerweile verstärkt durch Ava Jackson als Backgroundsängerin. Mit Ava und ihren älteren Schwestern Tikyra (Schlagzeug) und Tierini (Gesang) ist Southern Avenue noch mehr zu einer Familienangelegenheit geworden. Der israelische Bandgründer Ori Naftaly und Frontfrau Tierini Jackson sind nämlich verheiratet und Eltern von zwei Kindern.

Mit dem Titellied ihres zweiten, für einen Grammy nominierten Albums „Keep On“ (2019) – einer astreinen Soul-Nummer – stiegen sie in den Abend ein. Funky ging die Band um Temperamentsbolzen Tierini Jackson danach Switchup an, in dessen Verlauf James Browns Sex Machine kurz aufleuchtete im Hinterkopf als rhythmischer Anhaltspunkt, bevor die bluesige Ballade We’re Gonna Make It den stilistischen Einführungsreigen in ruhige vielstimmige Bahnen lenkte.

Der Auftakt klang wie ein vertontes Bewerbungsschreiben, das den Stil und die Spielarten von Southern Avenue vorstellen und verdeutlichen sollte. Keine Frage, sie sind eine R&B-Formation mit einer Sängerin, die das Singen und Handwerk seit frühster Jugend im kirchlichen Umfeld in Memphis gelernt und praktiziert hat. Gospel-Klänge sind ihr in Fleisch und Blut übergegangen, Funk liegt ihr, und wer von afroamerikanischer Herkunft ist, dem dürfte der Blues alles andere als fremd sein. Dazu kommt noch ein Bewegungstalent, das die Musik erst recht lebendig werden lässt, und fadengerades Songwriting. Wer die legendären kleinen Trippelschritte auf hohen Hacken von Tina Turner vermisst – es gäbe da eine Alternative. Bei dieser Band fusst der Stil einerseits ganz natürlich auf dem Background der weiblichen Mitglieder und bei Ori Naftalys Affinität zu afroamerikanischer Musik. Dieser Bezug entwickelte sich in seiner Jugend, als er bei Tony Pearson Gitarre spielen lernte, einem ehemaligen Touringband-Mitglied von James Brown und den Four Tops, bevor er dann Jazz und zeitgenössische Musik studierte in Israel. Mit seiner damaligen Band konnte er vor rund zehn Jahren erste nationale und auch internationale Erfolge als Blues-Musiker feiern, bevor er mit einem „Artist Visa“ in die USA ging. An Bass und Keyboard machten Evan Sarver und Jeremy Powell ihre Sache recht, hätten sich aber in Sachen Groove noch ein Scheibchen von ihrer Sängerin abschneiden können.

Das Genesis-Cover That’s All, eingeleitet von Naftalys Leadgitarre, kam unerwartet und tönte in dieser souligen Variante überraschend, aber gut. Aus der Liveversion ihrer als Single veröffentlichten Gospel- und Motivationsnummer Don’t Give Up, deren ganzer Text nur aus zwei kurzen Sätzen besteht, machte Tierini Jackson mit Backgroundgesangsunterstützung ihrer Schwestern und Ehemann Oris harten Gitarren-Riffs, die auch einem Led-Zeppelin-Fan noch ein anerkennendes Nicken entlockt hätten, beinahe einen Schlachtruf. Mit zwei Zugaben – darunter We’ve Got The Music – beschlossen sie nach rund 70 Minuten den Auftritt und hinterliessen Eindruck beim Publikum.

Nach der Pause …

Waren es bei der vorangegangenen Show zeitweise Gefühle gewesen wie bei diesen lebhaften Messen im „Bible Belt“ der USA, fühlte man sich beim Auftritt des australischen Orgelvirtuosen Lachy (Lachlan R.) Doley zeitweise wie in einer Kathedrale im hohen und von weissen Säulen abgestützten Volkshaus-Saal, jedenfalls wenn man die Bar im Rücken hatte. Oder in einer Fertigungshalle.

Dieser Zwiespalt rührte daher, dass der 44-Jährgie aus Adelaide mit derartiger Inbrunst ans Werk ging, die man unweit von Basel gern auch als „feu sacré“ beschreibt – und weil sein Spiel mit den Tasten und dem „Whammy Stick“ seines auf der Hammond-Orgel montierten Hohner-Clavinets den Bewegungsabläufen moderner Fertigungsroboter in Präzision und Tempo in nichts nachstand. Ein durch und durch faszinierendes Schauspiel.

Nachdem er dem Publikum versichert hatte, wie begeistert er sei, nach drei Jahren wieder in Europa auf Tour zu sein, lieferte er mit Conviction vom gleichnamigen Album (2015) sogleich den Beweis dafür. Latchy Doleys Tastenspiel war ekstatisch, und Jackie Barnes‘ Schlagzeug knallte wie Pistolenschüsse. Es war, als ob ein Überdruckventil geöffnet worden wäre. Mit dem Jimi-Hendrix-Cover Voodoo Child, gespielt auf dem Clavinet, nahm er den Schwung erst mit und erhöhte dann im Verlauf den Einsatz noch beträchtlich. Der „Whammy Stick“ (entspricht dem Vibrato-Hebel einer E-Gitarre) seines Clavinets kam entsprechend unter Druck. Es war verblüffend, das Hendrix-Feeling durch ein Tasteninstrument erfahren zu können – und erfahren konnte man es. Selbst wenn er die Idee damals, als er das Stück für sein Album „Double Figures“ (2020) auswählte, für „Blasphemie“ hielt.

In Australien ist alles extremer – die Distanzen sind länger, das Bier ist kälter, Rockbands stehen unter Gleich- und Wechselstrom, Schlangen und Skorpione sind giftiger, Bären sind putziger und Outbacks scheinen schier unendlich. Das ging einem beim leicht hypnotischen Only Cure For The Blues Is The Blues durch den Kopf. Nach Make It Up As I Go Along oder Frankly My Dear, I Don’t Care war der Beifall nicht einfach Applaus, sondern auch Rückmeldung, dass man im Publikum auch diesen Eindruck haben konnte. Die drei Mitglieder der Latchy Doley Group (Jackie Barnes, Drums und Joel Burton, Bass) feierten den letzten Auftritt ihrer Europatournee hemmungslos ausgelassen und improvisierten dabei zuweilen, was dann auch mal in Längen ausuferte. Aber hey, wer konnte es ihnen verdenken nach den letzten drei Jahren in anhaltender kontinentaler Isolation Down Under? Wer allerdings dem Sound einer Hammond-B3-Orgel erlegen ist und extra deswegen zum Konzert kam, bekam vielleicht etwas zu viel Clavinet an jenem Abend, könnte man herummäkeln, aber sonst … Und wer eine zweite Meinung haben möchte, wie viel Gutes eine Hammond einer guten Soul-Nummer zusätzlich tun kann, dem sei Dwight Yoakams grammynominiertes Nothing mit Skip Edwards an den Tasten als weiteres Hörbeispiel empfohlen.

Der Auftritt der Lachy Doley Group und ihres Spiritus Rector war ziemlich überwältigend für Fans wie für Neulinge – hatte man zumindest das Gefühl, als Lachy Doley und die Fans nach dem Auftritt am Merchandise-Tisch im Foyer zusammenkamen.         

Dieser Artikel erschien in der Country Style-Ausgabe Nr. 145/2023.

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