Wir schreiben das Jahr 1863, den 8. März, um ganz genau zu sein. In Nordamerika tobt der Bürgerkrieg. Der Südstaaten-Captain John Singleton Mosby reitet mit 29 Mann unbemerkt durch die feindlichen Linien in die Stadt Fairfax, das Hauptquartier von US-Brigadegeneral Edwin H. Stoughton.
Mosby klopft beim General Stoughton an die Haustür. Eine Ordonnanz öffnet fragend das Guck loch. „Depeschen für General Stoughton“, antwortete Mosby und wird prompt zum Nordstaatengeneral eingelassen. Dieser ist bereits zu Bett gegangen und ist entsprechend überrascht, als er durch ein Klopfen auf die Schulter geweckt wird. Mosby fragt den General, ob dieser je von Mosby gehört habe. Der General antwortet: „Ja, haben Sie ihn geschnappt?“ „Ich bin Mosby“, antwortet der konföderierte Captain. „Unsere Kavallerie hat das Court House besetzt. Beeilen Sie sich und ziehen Sie sich an!“ Vor dem Hotel sammelt Captain Mosby seine Truppe. Neben dem General rauben Mosby und seine 29 Männer der US-Armee noch 58 Pferde und entführen zwei Captains und 30 Soldaten. Die Südstaatler operieren so leise, dass niemand in der Stadt etwas merkt. Was auch wohl damit zusammenhängt, dass die Bewohner von Fairfax ebenfalls Südstaatler sind. So glatt wie die Aktion in der Stadt verläuft auch der Rückzug. Die Operation gelingt, ohne auch nur einen Schuss abgegeben zu haben!
Diese Episode aus dem amerikanischen Bürgerkrieg nahmen wir Gray Ghosts als Szenario für unser letztjähriges Sommercamp auf dem Seelisberg. Nachdem es in der Freitagnacht stark geregnet hatte, führte der Marsch am Samstagmorgen anfangs regnerisch, dann immer trockner vom Camp durch die angrenzenden Wälder. Der Auftrag: die Gefangennahme eines gegnerischen Generals. Die Aktion dauerte länger als geplant. Aber dank diszipliniert taktischem Vorgehen gelang das Vorhaben, und so konnten wir kurz vor dem Mittagessen erhobenen Hauptes mit dem gefangenen US-General ins Camp zurückkehren.
Nach dem Mittagessen durften wir bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr die Aufnahmezeremonie durchführen: Charles Daniel Anderson, ein tapferer und gewissenhafter Soldat, der sich nach bestandenem Probejahr unserem Bataillon anschloss. Auch besserte sich das Wetter merklich und so konnte der Nachmittagsdrill ohne Regen durchgeführt und das kleine Tal mit Pulverdampf eingehüllt werden. Schnelle Vorderladerschützen konnten vor rund 150 Jahren drei Schuss pro Minute abfeuern. Sind unsere Gray Ghosts auch so schnell? Daher hatte jeder Soldat mehrere Versuche. Der Schnellste brauchte knapp über 40 Sekunden für zwei Schuss, der Langsamste rund 55 Sekunden. (Für alle Leser, die noch nie einen Vorderlader abgeschossen haben: Das Laden und Feuern besteht aus folgenden Schritten: „load“ [Gewehr vor den Mann stellen, Kolben nach unten, Lauf gegen den Soldaten gerichtet], „handle cartridge“ [Patronentasche öffnen, eine Papierpatrone ergreifen und vor den Mund führen], „tear cartridge“ [Papierpatrone mit den Zähnen aufreissen und neben der Lauföffnung platzieren], „charge cartridge“ [Inhalt der Papierpatrone in den Lauf schütten und Papier in die Lauföffnung stecken], „draw rammer“ [Ladestock herausziehen, umdrehen und oberhalb der Lauföffnung platzieren], „ram cartridge“ [mit dem Ladestock die Ladung ganz nach unten rammen], „return rammer“ [Ladestock wieder herausziehen und in die Ladestockführung versorgen], „prime“ [rechten Fuss um 90 Grad nach rechts drehen, Gewehr herauf unter den rechten Ellbogen nehmen, Hahn in die Laderaste spannen, evtl. vorhandenes Zündhütchen entfernen, Zündhütchentasche öffnen, neues Zündhütchen herausnehmen und auf Piston drücken], „ready“ [Hahn ganz spannen], „aim“ [Ziel anvisieren], „fire“ [Abzug durchziehen und so Muskete abfeuern].)
Zurück im Lager wurden die Waffen gereinigt, während die Feldküche das Abendessen bereitete. Kurz vor dem Essen traf eine erfreuliche Depesche aus der Heimat ein: Unserem Kameraden Travis H. Callahan wurde an diesem Tag ein Sohn geschenkt. Mit einem dreifachen Hurra liessen wir den kleinen Joshua hochleben. Nach dem schmackhaften Abendessen setzten wir uns ums Lagerfeuer, alte und neue Geschichten wurden erzählt, die Tabakpfeife wurde gestopft und die neuste Ausgabe der „Reenactor’s Press“ gelesen. Wahrscheinlich von den Hurrarufen angelockt, trafen berittene Indianer im Lager ein. Zum Glück handelte es sich um einen befreundeten Stamm. Und so ging der Tag mit einer gemütlichen Runde am Lagerfeuer langsam zu Ende.
Am Sonntag musste das Lager wieder abgebrochen werden, und im Verlaufe des Nachmittages waren die meisten Teilnehmer des Camps bereits zu Hause. Der Alltag hatte die Gray Ghosts wieder eingeholt …
Weitere Infos: www.grayghosts.ch