Pickup State of Mind

Breuers Worte Pickup State of Mind
Bild: Geri Stocker

Die Oberfläche der Vereinigten Staaten besteht zu einem hohen Prozentsatz aus geweihter Erde – solange sie asphaltiert ist. In keinem Land der Welt gibt es so viele sakrosankte Strassen, sei es nun die „Route 66“ (Strasse der Gelbsucht), der legendäre „Highway One“ an der kalifornischen Küste oder die „Great River Road“ entlang des Mississippis. Strassen sind der heilige Boden der USA, weil man sich auf ihnen selbst verwirklichen kann. Mythos Harley, zum Beispiel – wobei da die Freiheit oft bloss Fahrtwind ist. Womöglich gibt es das auch umgekehrt: echte Biker, wilde Gesellen, die sich einmal im Monat am Wochenende als Geschäftsleute kostümieren: zu enges weisses Hemd, Krawatte, etwas zu kurze Hose, die ganze Palette, um sich dann in irgendwelchen Büroetagen in PowerPoint-Präsentationen zu ergehen.

Das beliebteste Fortbewegungsmittel der Country-Welt ist ohne Frage der Pick-up-Truck. Allein dieser göttliche Brummton beim Anlassen, gewiefte Sounddesigner haben dafür gesorgt, dass es ein wenig klingt wie das „Roar“ des metrogoldwynmeyernden Löwen. Ähnlich wie bei Jachten geht es oft um die Frage, wer den Grössten hat. Das führt zu den sogennanten „Monster Trucks“ mit Reifen in etwa so gross wie Pretty Rock Island: Dieses Inselchen in den Florida Keys steht übrigens gerade für zweieinhalb Millionen Dollar zum Verkauf. Das ist eine erstaunliche Entwicklung von den Trucks der Rapid Motor Vehicle Company in Pontiac zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute. Die Pick-up-Version des Model T war für die Landwirtschaft ein Segen, und erst in den 50er-Jahren wurde der motorisierte Farm-Muli zum Lifestyleprodukt.

Mittlerweile muss man im Truck-Store durchschnittlich 41.000 Dollar für einen Ford F (der sich mit grossem Abstand am besten verkauft) auf den Tisch legen. Mit Extras wie Vierradantrieb gern mehr, weswegen man heute auch nicht mehr sagt: „Ich fühle mich wie gerädert“, sondern eher wie „gefourwheeled“. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Preise 2021 um 6,4 Prozent gestiegen. Dabei sind die Autos nicht unumstritten – vom Lärm her, die hohen Stossstangen bzw. die „Kuhfänger“ können schlimme Unfälle verursachen, und vom Spritverbrauch haben wir da noch gar nicht gesprochen. Selbst das Image ist nicht ungetrübt: Pick-up-Trucks mit Trump-Bannern waren am 6. Januar 2021 nach Washington unterwegs, und die unterschieden sich gar nicht mal so radikal von den japanischen Modellen mit den schwarzen Fahnen, mit denen der IS in Libyen oder Syrien unterwegs ist, oder den Einsatzfahrzeugen der Killerkommandos der Drogenbarone in Mexiko oder Kolumbien. Vielleicht wird die Welt eines Tages von der Ladefläche eines Pick-ups aus regiert.

Das alles kann die Freude jedoch nicht trüben. Der Pick-up-Truck ist ein immerwährender Springbreak mit Rädern untendran. Nicht umsonst umschreibt das Verb „to pick up“ laut Wörterbuch „aufreissen“, man kann mit diesem Wort auch einen „Radiosender reinkriegen“, in dem Musik gespielt wird, bei der Gitarren-„Pick-ups“ die dominierende Rolle spielen. Zum Trost: Es gewinnt nicht immer der mit dem grössten, so wie in der Stalker-Hymne „That Ain’t My Truck“ von Rhett Akins, der zum Haus seiner Angebeteten fährt, nur um feststellen zu müssen: „That’s my girl, my whole world, but that ain’t my truck“.

Der Pick-up transportiert also häufig junge Menschen, die ganz schön getankt haben und/oder ordentlich geladen sind. Leider wird dieses Benehmen in zahllosen Songs glorifiziert. Die Ladefläche eignet sich für Flaschen schwenkende „Babes“ in karierten Hemden ebenso wie für erlegtes Wild: Whatapity-Hirsche im Osten, Alligatoren im Süden, Klapperschlangen im Westen und illegal geschossene Wölfe im Norden. Generell nicht schön für die Tierwelt: Geschätzte 20 Millionen Beutelratten werden pro Jahr in den USA überfahren, dazu kommen 40 Millionen Eichhörnchen, die in manchen Bundesstaaten den Speisezettel der Gefängnisse bereichern, in denen unter anderem die Leute einsitzen, die betrunken oder zu schnell Auto gefahren sind. Denn nicht die  „Sky“ ist das Limit – das Speed Limit ist das Limit.

Sowieso gilt: Nichts bleibt, wie es war. Mit dem Ford F150 Lightning gibt es den ersten Pick-up-Truck mit Elektroantrieb. Hintendrauf kann man dann die Sixpacks mit alkoholfreiem Bier und vegane Burger packen. Auch Tesla will mit dem Cybertruck in den Markt einsteigen. In Amerika findet sich wohl kein Highway, der nicht mit mindestens einem Song angeschmachtet worden ist, nicht mal die kleinste Backroad bleibt verschont. Daher hier die Top Ten der Top-Ten-Highways.

The Waifs: Highway One

Drew Nelson: Highway 2

Tom Jessen: Highway 3 West

Fred Spruell: 4A Highway

American Music Club: Highway 5

Katie Bulley: Highway 6

R.L. Burnside: Highway 7

Noah James: Highway 8

Eliza Gilkyson: Highway 9

Mick Brady: Highway 10r

Dieser Artikel erschien in der Country Style-Ausgabe Nr. 137/2022.

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