Eine Nummer kleiner tut’s auch

Route 65 spielten vor herrlicher Kulisse bei sommerlichen Temperaturen im Kannenfeldpark (v.l.): Hanspeter Gasser, Sabrina Philipp, Martin Markus, Roli Kaufmann, Ronny Arber und Tommy Lustenberger (Basel, 16.8.2023). Elaine Leypoldt (l.) & Sabrina Philipp (Bild: Dani Schmid)
Route 65 spielten vor herrlicher Kulisse bei sommerlichen Temperaturen im Kannenfeldpark (v.l.): Hanspeter Gasser, Sabrina Philipp, Martin Markus, Roli Kaufmann, Ronny Arber und Tommy Lustenberger (Basel, 16.8.2023). Elaine Leypoldt (l.) & Sabrina Philipp (Bild: Dani Schmid)
Die US-Route 66 ist einer der grossen Sehnsuchtsorte dieser Welt. Von Chicago führte sie auf 3945 Kilometern quer durch die Vereinigten Staaten nach Santa Monica/Los Angeles an den Pazifik. Obwohl heute teilweise verschwunden, ist sie eines der grossen Symbole des rastlosen, ständig mobilen Amerikas und seines Traums geblieben. Aus Sehnsucht und einer gewissen Rastlosigkeit entstanden auch Route 65.

Ziel und Zweck

Die sechsköpfige Country-Band aus der Nordwestschweiz will nicht mehr und nicht weniger als eine Coverband sein. Also eine Formation, die bekannte Lieder – mehrheitlich Hits – nachspielt. Wenn man dazu tanzen kann, umso besser. Dabei wollen sie nicht einmal anders als die Originale klingen – je näher am Echten, desto besser. Oder wie Bassist „Casey“ Gasser es kurz und bündig auf den Punkt bringt: „Wenn Du das prägnante Gitarrenriff von Guitars And Cadillacs nicht draufhast, musst Du den Song eben weglassen.“ Aber wo soll denn da der Reiz liegen, könnte man sich jetzt vielleicht fragen. Antwort: in der Harmonie und der angestrebten Präzision.

Dreistimmiger Harmoniegesang in hoher Qualität ist Ziel und Anspruch von Route 65. Anders als die Band selbst, reicht diese Zielsetzung viel länger als nur ein Jahrzehnt zurück. Die Basis dafür wurde Anfang der 1980er-Jahre gelegt, als sich die hiesige Country-Musik in ihrem ersten Aufschwung befand.

Wie alles begann …

Roland „Roli“ Kaufmann hatte im November 1979 als einziger Solokandidat – „jung und völlig unbedarft, ich kannte niemanden dort, nicht einmal John Brack“ – im Zürcher Kongresshaus beim ersten Marlboro Country & Western Festival teilgenommen. Einer nationalen Veranstaltung, ins Leben gerufen von Marlboro und Radio DRS in Zusammenarbeit mit dem Konzertveranstalter Good News. Frisch und kurz geschoren aus dem WK (militärischer Wiederholungskurs) mit einer zwölfsaitigen Gitarre, ein paar Eigenkompositionen und Johnny Cashs Wreck Of The Old 97 trat er beim Publikumswettbewerb an und wurde auf Anhieb Dritter. Dahinter lag die Nordwestschweizer Band Train auf dem vierten Platz, noch vor dem späteren hiesigen Country-Superstar John Brack.

Nicht nur das schätzungsweise rund 800-köpfige Publikum hatte gut zugehört damals. Train waren ebenso angetan von dem 24-jährigen Sänger direkt vor ihnen in der Rangliste, dass sie ihn daraufhin in die Band holten und ihren Sänger feuerten. Auch sie konnten mehrstimmigem Harmoniegesang viel abgewinnen. Der nächste Karriereschritt folgte nach dem Ende von Train, als sich die ehemaligen Bandmitglieder Roli Kaufmann, die Sängerin mit britischen Wurzeln Elaine Leypoldt und Eric „Rikky“ Geiser zum neuen Gesangstrio Phoenix  zusammenschlossen. Nachdem sich Ende 1981 das hiesige Erfolgsschlagertrio Peter, Sue und Marc aufgelöst hatte, gab es eine Marktlücke. Aber obwohl sich das neue Folk-Trio im Stil der grossen US-Vorgänger Peter, Paul and Mary den Namen eines mystischen Vogels mit feurigen Aufstiegsambitionen gab, so richtig abheben wie die Vorbilder tat man nicht. Dennoch, die drei schafften es gelegentlich ins Fernsehen und 1989 sogar in die grosse deutsche ARD-Samstagabendunterhaltungssendung „Die Rudi Carrell Show“.

Von diesem TV-Auftritt vor Millionen Bildschirmzuschauern im deutschsprachigen Raum versprachen sie sich verständlicherweise einen Bekanntheitsschub. Der blieb aber aus. „Abgesehen vom Anruf einer Zuschauerin, die sich nach Elaines Kleid erkundigte, war die zählbare Resonanz auf diesen grossen Auftritt – null“, kann Roli Kaufmann heute lachen.

Nach jenem Höhenflug baute man das Trio zum Sextett aus, und Jeff Turner wollte später sogar eine CD mit ihnen produzieren, was aber eine völlig unerwartete (Panik-)Reaktion auslöste. Zu bereits bestehenden Schwierigkeiten, meistens wegen Terminen, kam nun auch noch die offenbar bedrohliche Aussicht einer Plattenproduktion. Das war buchstäblich des Guten zu viel: „Ein paar von uns bekamen kalte Füsse“ – und Phoenix lösten sich auf. Absurderweise nicht zuletzt wegen der „Drohung“ Jeff Turners, mit ihnen eine CD machen zu wollen. Der Feuervogel verbrannte wie ein am Spiess vergessenes Poulet, aber stieg dann später, wie es seine Natur ist, wieder aus der Asche empor. Zumindest in Teilen. Die schlossen sich dann mit ehemaligen Mitgliedern der Country Pickers zur neuen Band Diamonds & Dust zusammen, die bis ins Jahr 2000 hielt. Ganz offensichtlich war die Regio Basilensis damals nicht nur ein international führender Chemie- und Pharmaproduktionsstandort, sondern auch eine überaus aktive und effiziente regionale Bandrecyclinganlage.

Erst ab Herbst 2012 begann sich dann wieder neu zu bilden, was teilweise schon einmal zusammen gewesen war. Roli Kaufmann und der ehemalige Diamonds-&-Dust-Mitstreiter Hanspeter „Casey“ Gasser wollten es nach einem zwischenzeitlichen Train-Wiederbelebungsversuch, der allerdings scheiterte, trotzdem noch einmal wissen. Die neue Route 65 sollte „der Weg zur Country-Musik“, wie es die Band auf ihrer Website verspricht, und zurück auf die Bühne werden. Mit dabei war auch wieder Train- und Phoenix-Veteranin Elaine Leypoldt. Zunächst nur versuchshalber, dann fest. Mit der jungen deutschen Sängerin Sabrina Philipp kam vom anderen Rheinufer noch eine weitere starke Stimme mit grosser Erfahrung hinzu, die schon im zarten Alter von vier Jahren mit der Tanzmusikkapelle ihres Vaters den ersten öffentlichen Auftritt hingelegt hatte. Roli Kaufmann bezeichnet sie als „Highlight in der Band und absoluten Glücksfall“, die mit ihrer Stimme und Performance mittlerweile zum Aushängeschild von Route 65 geworden ist. Damit waren die Voraussetzungen für dreistimmigen Harmoniegesang, sogar mit verschiedenen Leadstimmen, wieder gegeben. Zusammen mit dem ehemaligen Gitarristen von Diamonds & Dust, Ronny Arber, und Schlagzeuger Enzo Bellini ging es von Neuem los, und im September 2013 spielte man den ersten Gig.

Die aktuelle Formation

Seither gab es natürlich auch wieder weitere Wechsel in der Band. Elaine Leypoldt und Enzo Bellini haben ihre langen Musikkarrieren beendet, und mit Pianist Tommy Lustenberger und Schlagzeuger Martin Markus kamen neue Musiker und neuer Drive hinzu. Drummer Martin Markus kommt aus der Rockmusik. Wegen seiner schier unerschütterlichen Taktsicherheit und Präzision verglich ihn sein Bandkamerad in der Rhythmussektion auch schon anerkennend mit einem Metronom, mit dem man „einen brutalen Boden legen“ könne. Als neuen Pianisten für die Band hatte man Tommy Lustenberger im Visier, dessen musikalischer Rucksack und Stimme überzeugten und mit dem man in der Schlussphase von Diamonds & Dust ebenfalls bereits zusammengespielt hatte. Der zierte sich anfänglich aber noch etwas, bis es ihm dann doch noch „den Ärmel reinnahm“. Mit seinem Gehör und seiner Erfahrung werden seither nicht nur Miss­töne zuverlässig erkannt und benannt, sondern auch handwerklich gekonnt und an den richtigen Stellen behoben. „Beide sind definitiv ein Gewinn für die Band“, ist man in Gründerkreisen längst überzeugt. Mit seiner Lead- oder auch der Lap-Steel-Gitarre sorgt Ronny Arber dafür, dass man vor Guitar And Cadillacs nicht zurückschrecken müsste.

Die Stilfrage

Beim Repertoire bewegt man sich in den zeitgenössischeren Gefilden der Country-Musik – zwischendurch auch mal in Mundart –, allerdings unter Ausschluss des allzu Poppigen. „Bei der Songauswahl ist immer ein wichtiges Kriterium, ob es gute Chorpassagen in den Liedern hat“, wird hervorgehoben. Dass unter solchen Vorgaben auch Eagles-Songs reinpassen, versteht sich eigentlich fast von selbst. „Ultratraditionalisten, die einfach Johnny Cash und Merle Haggard rauf und runter spielen, haben an uns wahrscheinlich keine Freude – das machen wir einfach nicht“, erklärt Roli Kaufmann den Ansatz von Route 65.

Obwohl es eine – längst vergriffene – CD gibt von ihnen („Crossroads & Junctions“), verstehen sie sich als reine Liveband. Eine weitere Albumproduktion wird es von ihnen kaum mehr geben im heutigen Streaming-Zeitalter. Aber es bliebe ja das Sammlerstück aus dem Jahr 2017, falls man noch irgendwo ein Exemplar zu bezahlbarem Preis fände.

Das Logorätsel

Wer sich jetzt noch fragt, warum sie sich nicht für die einen Tick grössere, berühmtere US-Strassennummer entschieden haben – hier die Erklärung Roli Kaufmanns im O-Ton: „Es gibt eigentlich zwei Gründe dafür: Es war wieder einmal so eine schräge Idee von mir. Ich habe mir überlegt, was es für Bandnamen für uns geben könnte, die nicht ganz gewöhnlich und allenfalls auch noch ein wenig originell wären. Weil wir alle bereits im gesetzteren Alter sind, spielt langsam das AHV-Alter 65 eine Rolle. Route 66 wäre etwas einfallslos gewesen, aber es ist die Traumstrasse. Obwohl alle, die darauf landen – oder dem, was noch von ihr übrig ist –, rasch merken: So toll ist sie gar nicht. Dazu waren wir uns bewusst, dass es für uns auf die musikalische Traumstrasse wohl nicht mehr reichen würde – dafür waren wir schon zu alt, und warten würde vermutlich auch niemand mehr auf uns. Also musste statt der 66 die 65 auch reichen.“ Im Bandlogo mit den drei Einschüssen, die bei genauem Hinsehen aus der Fünf doch noch eine Sechs machen, stellte man den Bezug zur Strasse der Träume aber trotzdem noch her, wenngleich etwas augenzwinkernd hintergründig.

Die Jubiläumsparty

Wie sie sich aktuell anhören und was es auf die gegenwärtige Set-Liste geschafft hat, könnte man sich am 7. Oktober 2023 beim Jubiläumskonzert im Basler Kultmusiklokal Atlantis anhören. Dort werden sie mit Freunden, Gästen und dem ebenfalls kultigen Berner Akustiktrio MGM (Müller, Gerber, Meier) das zehnjährige Bühnenjubiläum gebührend feiern und einander vermutlich auch ein paar ihrer jeweiligen Songs in Berner Mundart vorspielen, nicht zuletzt Louenesee.               

„D’Uffnahm isch ä Katastrofä, aber d’Stimm isch super.“

(SRF-Country-Legende Chuck Steiner über Roli Kaufmanns Wettbewerb-Demoband von 1979)